Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
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Einen Monat später traf ich ihn im Connaught wieder. Die Stimmung war wie bei unserer allerersten Begegnung, höflich und distanziert. Ich konnte mich natürlich nicht nach seiner Frau erkundigen, nicht fragen, wie es seinem Sohn in Sheffield gehe. Er fragte mich nach meinen Kindern, und ich erzählte ihm von ihnen und dann noch ein bißchen mehr von meinem Leben. Jane erwähnte ich nicht, und von meiner Ehe sagte ich nur, daß sie nicht funktioniert habe, wir aber in gutem Einvernehmen lebten. Ich wirkte wohl wie ein zufriedener Mann, dem eine ganze Menge nicht passiert war. Er machte einige Kommentare über die Scheißregierung und diverse Weltereignisse. Aber das alles war sehr weit weg von ihm. Die Welt, von der er sprach, war nicht seine eigene. Schließlich sprachen wir übers Fernsehen.
»Es lenkt einen ab«, sagte er. »Etwas, das wir gemeinsam tun können. Sogar eine ziemliche Zeit lang. Zusammensein. Gemeinsam zusehen, gemeinsam erleben. Muß nicht drüber nachdenken oder reden. Schaue nur zu und schalte ab. Ist eigentlich ziemlich egal, ob es Quatsch ist oder nicht ...«
Ich nickte zustimmend und dachte dabei, das sei ein Forschungsthema, auf das man Bridget ansetzen sollte. Wir gingen gemeinsam. Das Barmädchen war neu. Er fragte, was mit dem vorigen passiert sei.
»Ist nach Afrika zurückgegangen«, sagte sie, und es klang leicht verbittert, als würde sie es ihrer Vorgängerin übelnehmen.
»Sind Sie aus Australien?« fragte Brown.
»Neuseeland«, erwiderte sie barsch.
Draußen auf der Straße sagte Brown: »Ein bißchen unhöflich, die Kleine, was? Und auf Sie steht sie auf keinen Fall.«
»O nein, da irren Sie sich«, erwiderte ich. »War gestern abend schon hier. Sie war ausgesprochen entgegenkommend. Wir gehen nächsten Donnerstag miteinander zum Abendessen. Sie meinte, sie hoffe, ich sei kein Freund von diesem schrecklichen Kerl mit der dunklen Brille, der sei nämlich überhaupt nicht ihr Typ.«
Er lachte und drückte mir die Schulter. »Danke, Professor. Danke. Wirklich. Vielen, herzlichen Dank.«
»Nur um das mal endgültig klarzustellen«, sagte ich schließlich. »Ich bin kein Professor. Absolut nicht.«
»Das brauchen Sie mir nicht zu sagen«, entgegnete er und legte mir die Hand ins Kreuz. »Ein Ignorant wie Sie.«
Ein paar Tage später erhielt ich einen Brief auf einem Blatt Papier mit sehr elegantem Briefkopf und folgendem Wortlaut:
Lieber Professor Thomas, wenn ich so sagen darf,
wahrscheinlich haben Sie mich an diesem Abend für einen ziemlichen Scheißkerl gehalten, wegen dem, was ich alles gesagt habe. Wie Sie sehen konnten, war ich besoffen. Tut mir leid. Ihr auch. Weiß allerdings nicht, wie ich es anders formuliert hätte, wenn ich nüchtern gewesen wäre. Das Wichtigste ist, ich war sehr froh, daß Sie gekommen sind, wirklich sehr froh. Danke. Klasse Briefkopf, was? An so was merkt man normalerweise, wie die Leute ihr Leben gern hätten. Niveau. Respektabilität usw.
Mit freundlichen Grüßen
John Brown
KAPITEL ACHT
D anach klafft eine Lücke von einigen Monaten in meinen Aufzeichnungen, bis ich es schaffte, ein neues Farbband für meine Schreibmaschine zu kaufen, und das wirkte sich dann so aus, daß meine Gedanken etwas sonor und allzu selbstsicher klangen.
John Browns Brief beantwortete ich mit einer Karte, auf die ich ganz einfach schrieb: »Vielen Dank für Ihren Brief und Ihre Gastfreundschaft. Wir sehen uns im Connaught wieder, wenn der Laden nicht gerade von Touristen überrannt wird.« Auf der leeren Rückseite waren die Sachen, die ich nicht sagte, etwa ein Lob seiner Getränke oder was für ein Vergnügen es gewesen war, seine gute Gattin kennenzulernen.
Warum ich ihn nicht anrief, ein Treffen ausmachte oder ihn zu mir einlud? Ich war oft kurz davor. Nun ja, so oft auch wieder nicht. Konnte ja sein, daß er meine Gesellschaft wollte, aber wollte ich seine? War es nicht so, daß ich mich nicht in eine Freundschaft hineinziehen lassen wollte, aus der es dann immer schwieriger würde, sich zu lösen? Ich stellte mir betrunkene Abende intensivster Peinlichkeit vor, Fahrten zu Ausflugszielen mit Mrs. Brown im Fond, phantasierend oder im Tiefschlaf. Ich stellte mir weitere Geständnisse vor, die völlige Entblößung ihres Lebens. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich ihn genug mochte oder überhaupt. Ob ich sie mochte oder sie irgendwann mögen könnte, falls sie je zu der Person würde, die sie sein könnte, falls es eine
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