Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
Mr. Polizist Einmischer. Sie sollten mehr Zeug in meinen Kakao tun. Finden Sie mich hübsch?«
»Ja. Sehr.«
Ihre Stimme wurde naseweis und spitz. »Ziemlich hübsch, nehme ich an. Bin nur ziemlich dürr, muß ich leider sagen.«
Sie schloß die Augen wieder, und kurz darauf kam das Taxi. Ich zog sie auf die Füße, und sie ließ sich ohne Widerstand führen, als wäre sie halb eingeschlafen. Wir wurden von den anderen Gästen angestarrt, daß man meinen konnte, sie seien Zeugen einer Verschleppung. Ohne allerdings irgend etwas dagegen zu unternehmen. Interessant, aber zuviel Unannehmlichkeiten. Die Kellnerin stand mit verschränkten Armen an der Theke. Ich winkte und rief: »Danke.« Sie winkte nicht zurück. Einen Augenblick lang wünschte ich mir, sie würde mittelalt werden, dann alt, und zwar so schnell wie möglich. Das würde ihr gar nicht gefallen.
Als ich das Mädchen auf den Rücksitz des Taxis verfrachtete, legte sie mir den Arm um die Schulter und murmelte: »Sie sind ein ziemlich langweiliger, alter Mann. Aber da können Sie nichts dafür. Immer vorbeigehen und zu Fenstern hochschauen. Ich habe gesehen, daß Sie meine Brüste angeschaut haben. Ich bin froh, daß Sie nicht mein Vater sind. Das dürften Sie dann nicht tun.«
Ich stieg auf der anderen Seite ein, und der Fahrer warf mir einen Blick zu, bei dem er selber nicht wußte, ob er anzüglich oder empört sein sollte. Das Mädchen verschränkte die Arme, drückte sich mit einem tiefen Seufzen in die Ecke, schloß die Augen und fing wieder an zu summen. Ich bezweifelte, ob ich sie je wiedersehen würde; auf jeden Fall würde ich nie mehr mit ihr allein sein.
»Es scheint Ihnen da unten am Strand ja ziemlich gut gefallen zu haben.«
Einen Augenblick lang hörte sie auf zu summen, dann drückte sie sich noch tiefer in ihre Ecke und schaute zum Fenster hinaus. Sie schien ihr Zittern unterdrücken zu wollen. Ihr Gesicht war jetzt sehr blaß und merkwürdig schattenlos. Sie hatte wieder Gänsehaut auf ihren nackten Unterarmen, und jetzt konnte ich sie mir nur ausgestreckt vorstellen, wie sie die Rasierklinge darüberzog, zuerst über den einen, dann den anderen. Ich hatte den absolut absurden, ignoranten Gedanken, daß ich zu ihr sagen sollte: »Bitte versuchen Sie nicht noch einmal, sich umzubringen.«
Und dann hörte ich es mich sagen, aber so leise, daß ich glaubte, sie hätte es gar nicht gehört. Das Summen war verstummt, und sie atmete tief, unter ihren Armen hob und senkte sich die Brust.
Ich schaute zum Fenster hinaus und warf noch einen letzten Blick aufs Meer, als wir von der Promenade abbogen. Der Himmel hatte sich bedeckt, und die Leute packten ihre Sachen zusammen. Liegestühle wurden aufeinandergestapelt, und zwei Männer mit schwarzen Säcken sammelten Abfall ein. Einige hatten bereits die Promenade erreicht, schwer beladen mit Strandkram, und ihre Kinder zockelten hinter ihnen her, als erwarteten sie jetzt, da ihre Freiheit zu Ende war, ebenfalls getragen zu werden. Hände wurden nach hinten ausgestreckt, um sie weiterzuziehen. Einige Standbesitzer rollten bereits die Markisen ein und schlossen die Läden. Das Glitzern des Meers war verschwunden, es war jetzt blaßgrün, und weiter draußen wurde es zwischen aufsprühender Gischt wellig und grau. Boote waren keine mehr zu sehen. Einen Augenblick lang kam noch einmal die Sonne heraus, wie um alle zurückzurufen, doch dann verschwand sie wieder und hinterließ eine scharfkantige Dunkelheit.
Als ich mich wieder zu dem Mädchen umdrehte, starrte es mich an.
»Warum eigentlich nicht?« fragte sie, und es klang wie eine ganz sachliche Frage, als würden wir über jemand anderen reden. Sie lächelte über meine Verwirrung. Ich wußte nicht, was ich antworten sollte. »Also kommen Sie, alter Mann. Leute wie Sie wissen doch angeblich alle Antworten.«
Ich schaute noch ein letztes Mal zum Meer und dann wieder zu ihr. Sie lächelte noch breiter, aber jetzt war es die Imitation eines Lächelns, ein Blecken der Zähne, fast eine Drohung.
»Weil es ein Verlust wäre. Eine schrecklicher Verlust.«
»Der Verlust einer guten Stimme, meinen Sie.«
Nun sang sie sehr laut eine hohe Tonleiter. Der Fahrer zog erst die Schultern hoch, drehte sich dann um und murmelte: »O Gott!« — ob verärgert oder bewundernd, das wußte er wohl selber nicht.
Als sie aufhörte, klatschte ich ein paarmal in die Hände und sagte: »Bravo.«
Sie seufzte und schloß wieder die Augen. »Es gibt Unmengen von
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