Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
ich dachte, sie wollte ein Schluchzen unterdrücken, aber dann hustete sie.
»Sie sagte, es sei ganz wunderbar gewesen. Ganz allein über den Strand zu gehen. Ich fürchte nur, sie wird es wieder tun wollen, und dann sind Sie nicht da, um sie nach Hause zu bringen.«
»Wird sie ...?«
»Wieder gesund werden? Nein, sie wird nie wieder gesund werden. Heute morgen dachte sie, ich wäre ihre Ärztin im Krankenhaus. Als ich sie aufweckte, schob sie einfach den Ärmel hoch, damit ich ihr eine Spritze gebe. Das ist das Schlimmste, daß sie mich manchmal einfach nicht erkennt.«
»Ja, ich kann verstehen ...«
Nun lächelte sie. »Sie dachte, Sie wären einer der Gärtner im Krankenhaus gewesen. Sie meinte, Sie wären sehr freundlich gewesen, hätten ihr Kakao spendiert und sie dann mit in den Garten genommen, um ihr zu zeigen, wo Sie Dahlien gepflanzt hätten. Sagte auch, Sie wollten ihr beibringen, wie man Gemüse züchtet, daß sie sich zur Abwechslung mal nützlich machen kann, damit sie eine Aufgabe hat.«
Ich konnte nur nicken. Ich sagte nicht, sie dürfe nicht zögern und den ganzen Rest. Sie dankte mir noch einmal, und ich merkte, daß sie mich nie um Hilfe bitten würde, da es nichts gab, was ich für sie tun konnte. Sie wirkte eher wie ein Mensch, der sagen würde: »Sie wollen von meinen Problemen nichts hören.« Sie würde nie über sich selber reden wollen, über das Elend ihres Lebens und ihre sehr kranke Tochter. Sie würde sich nie beklagen. Im Gegensatz zu solchen, die über wenig oder gar nichts zu klagen haben.
Als sie sich bereits zum Gehen wandte, sagte ich: »Entschuldigung, aber ich weiß nicht einmal, wie sie heißt.«
»Julia.«
»Ein wunderschöner Name.«
»O ja. Wir haben sie angeschaut, als sie noch ein Baby war, und gedacht: Sie wird wunderschön werden. Das Leben wird ihr alles bieten, was es zu bieten hat. Wir werden schon dafür sorgen. Ach, sie war so ein reizendes, kluges Kind ...«
Sie ersparte es mir, darauf antworten zu müssen, indem sie sich ganz umdrehte und einfach davonging. Meine Hand winkte einem leeren, blauen Himmel.
Am nächsten Morgen fuhr ein offiziell aussehender Wagen vor und nahm die beiden mit. Am Abend kehrte die Frau allein zurück. Ich stellte mir vor, wie sie allein dasaß, ihre Tochter schrecklich vermißte und zugleich auch wieder nicht, und wie sie sich dafür schämte. Geh hinüber. Klopf an die Tür. Sag: »Ich dachte mir, Sie wollen vielleicht ein bißchen Gesellschaft.« Nein, ich vermutete eher, daß ein Elend wie dieses nicht geteilt werden kann. Die Demütigung. Wie sie mich angeschaut hatte, als sie an diesem Sonntag aus der Kirche eilte, das war kein Flehen um Hilfe gewesen, sondern das Flehen, doch bitte wegzusehen. Das war das Bild, das mir nun in den Sinn kam: Hände, die sich nach einer davoneilenden Menge ausstrecken, und keiner, der sich umdreht ...
KAPITEL ZEHN
V or ein paar Wochen klopfte Mrs. Felix an meine Tür, und zwar ziemlich ausdauernd, offensichtlich zog sie es dem Klingeln vor. Sie schaute mich über ihre Brille hinweg an und sagte, sie nehme natürlich an, ich wüßte alles über das Freudenfeuer — als wäre ich jemand, der dachte, er wüßte alles, der aber dank ihrer merkte, daß er schiefgewickelt war. Ein paar »anständige Leute« kämen zu hausgemachten Hackfleischpasteten und Punsch, bevor man dann gemeinsam auf den Hügel gehe, um das neue Millennium zu begrüßen.
Ich hatte sie kommen sehen und mich entsprechend vorbereitet.
»Eine wahrlich gesellige Geste, das muß ich gestehen«, sagte ich professoral, auch wenn der Schwulst wohl aus einer Zeit vor der ihren stammte. Dann zeigte ich ihr den hochgereckten Daumen und schaltete um auf etwas, das man für einen kanadischen Akzent halten konnte. »Machense ’ne Sause, Ma’am.«
»Auf den Punkt gebracht. Wirklich sehr drollig ...« Eine Pause entstand, wie wenn man es sich plötzlich anders überlegt und merkt, daß es zu spät ist. »Ich bin ziemlich früh dran, das muß ich zugeben, aber wenn Sie zu uns kommen wollen ...«
»Sehr freundlich«, erwiderte ich. »Wirklich sehr, sehr freundlich. So die Familie will.«
»Aber selbstverständlich, mein Lieber. Natürlich nur, wenn Sie Zeit haben. Ein paar von Cedrics alten Kommilitonen werden auch dabeisein. Einer ist im Haus, soweit ich weiß.«
Ich antwortete undeutlich, wie Professoren es tun mögen, wenn sie halblaut über eine Wahrheit spekulieren, der man eigentlich
noch mehrere Lebensspannen des
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