Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
bekommt, soll heißen, Geld zu verdienen eher auf die eine als auf die andere Art und je mehr, desto besser. So gut wie alles andere wird als Folge davon betrachtet, Erfolg, Mädchen, was auch immer. Welche andere Realität es noch geben könnte, ist manchmal schwer vorstellbar.
Er ist entspannt in meiner Gegenwart, aber es herrscht zwischen uns noch immer dieses perfekte Timing, das uns davon abhält, uns mehr als ein oder zwei Sekunden lang in die Augen zu schauen. In Museen stellt er mir nur sehr wenige Fragen, nicht weil, Gott behüte, ich die Antworten nicht wüßte, sondern weil er sich an die gedruckten Erläuterungen hält, die man normalerweise in oder an den Vitrinen findet. Er liest, schaut und geht weiter. Vielleicht entwickelt er sich zu einer gerissenen Persönlichkeit mit kühlem Blick und wenig Leidenschaft. Ich habe keine Ahnung, ob er das Zusammensein mit mir genießt. Ich wäre gern viel mehr (weniger) mit ihm zusammen, wenn ich könnte. Wir berühren uns kaum, nicht einmal beim Abschied. Ich benutze dann so originelle Formeln wie »Weiter so!« oder »Kopf hoch!« oder »Bis bald«. Letzteres vielleicht mit einem Zwinkern. Ich vergesse auch nie, ihm einen Schein oder zwei in die Brusttasche zu stopfen und schöne Grüße an seine Schwester und Mutter auszurichten. Ich bin mir sicher, daß er nichts zu ihnen sagt. Über Zuhause reden wir nie, weder über das vergangene noch das gegenwärtige.
Als ich zum ersten Mal mit ihm etwas unternahm, murmelte ich, es sei eine Schande, daß es so gekommen sei, aber so etwas passiere eben, und dann noch etwas über Unstimmigkeiten. Ich sagte nicht, was ich mit »es« meinte, deshalb gab es keine unmittelbare Reaktion. Dann nickte er routinemäßig, als hätte ich die Fotos aus dem Zweiten Weltkrieg gemeint, die wir uns unlängst angesehen hatten, oder als hätte ich eine wenig überzeugende philosophische Bemerkung gemacht. Außerdem hatte ich versucht, nicht zu melancholisch zu klingen, mußte mich dann aber doch mittendrin räuspern. Der andere Grund, warum er nicht sofort reagierte, war der, daß er zu der Zeit in einer Museumscafeteria
gerade einen Mars-Riegel aß und ich mir genau den Augenblick ausgesucht hatte, als er ein großes Stück abgebissen hatte. Als er dann schluckte, sagte ich und klatschte dabei in die Hände: »Also, Kumpel, wohin jetzt?«
Er schaute von dem Mars-Riegel zu mir hoch, während ich auf das Teil hinabstarrte.
»Ist schon okay, Dad, ehrlich. Manchmal entscheiden wir uns nicht nur zwischen richtig und falsch.«
Er hatte es also die ganze Zeit gewußt. Natürlich sprach in diesem Augenblick seine Mutter aus ihm. Ich habe keine Ahnung, was sie damit gemeint haben könnte. Ich bin mir sicher, daß auch Adrian es nicht wußte. Vielleicht meinte sie, daß es im Privaten schwieriger ist als in der Öffentlichkeit, genau zu wissen, was richtig und falsch ist. Stimmt zweifellos. Ich hoffte nur, daß sie ihn nicht mit großen Fragen wie dieser aus der Fassung brachte, wo ihn doch schon die einfachen unglücklich genug machten. Ich konnte mir vorstellen, daß sie ihn instruierte, während sie seinen Regenmantel zuknöpfte und ihm die Haare aus dem Gesicht strich. Vielleicht hält er sich aber nicht daran. Ich ertrage es nicht, sein Mitleid zu spüren, deshalb trete ich ziemlich forsch auf und reiße Witze über die Gegenstände in den Vitrinen – die historischen Kostüme und Skelette und den uralten Hausrat. Ich hoffe, ich klinge nicht wie Hamble, als er seine Frau im Park aufmunterte. Er grinst über meine Witze (etwa wenn ich vor einer Vitrine mit Bundhosen aus dem Barock meine Storchenbeine erwähne), aber ich habe es nur einmal geschafft, ihn wirklich laut zum Lachen zu bringen. Inzwischen nennt er mich nie mehr »Dummkopf«.
Er fragt mich nach Hamble, und ich kann ihm nur sagen, daß er allem Anschein nach recht gut zurechtkommt, was ja auch stimmt. Ich erzähle ihm, daß ich das Haus verkaufe und mir in Kensington eine Wohnung suche. Er sagt: »Da wird Mr. Hamble aber traurig sein, nicht?« Ich sage, ich weiß es nicht, er scheint in seiner ganz eigenen Welt zu leben. Ich sage nicht, daß er meinen Weggang kaum bemerken wird, da doch schon der ganze Rest der Familie weg ist, vor allem Virginia, die sie so gern hatten.
Ich will meinem Sohn nicht den Eindruck vermitteln, ich würde mich selber geringschätzen. Wenn überhaupt, dann möchte ich in seiner Wertschätzung wachsen, nur weil er das für uns beide will. Im
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