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Ein unbeschreibliches Gefuehl

Ein unbeschreibliches Gefuehl

Titel: Ein unbeschreibliches Gefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Schlueter
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wollte er sie mitnehmen, aber nur ohne ihren Sohn. Caroline weigerte sich, ihr Kind zu verlassen, doch auch damit war die Beziehung nicht ganz beendet. Nach wie vor schien ein gemeinsamer Hausstand nicht ausgeschlossen, aber eine undefinierbare Krankheit Carolines und die Angst vor Verpflichtungen hinderten Schopenhauer daran, diesen Schritt zu tun. Zuletzt berücksichtigte er die langjährige Geliebte in seinem Testament, schloss aber ihren Sohn ausdrücklich aus.
    Es scheint, als habe Schopenhauer in der Liebe nicht genau gewusst, was er wollte. Das passt zu seiner Philosophie, denn in ihr erscheinen Liebende eher wie Getriebene. Wie schon viele Denker vor ihm unterschied Schopenhauer eine auf Mitleid gegründete allgemeine Menschenliebe von der sexuellen Liebe. Letztere hat nur einen einzigen Zweck: dass der Mensch sich fortpflanzt. Wer sich dem Diktat der Sexualität beugt, macht sich damit zum Erfüllungsgehilfen des Lebens. Und das kennt nur ein Ziel: sich selbst hervorzubringen. Besser wäre es, wir könnten dem schmerzlichen Vorwärtsdrängen des Lebens entrinnen, denn das hat nach Schopenhauer für uns nur Qual bereit: Langeweile und unstillbare Bedürfnisse.
    Der Mensch, wenn er nicht etwa eine entsetzliche Leere empfindet, wird von seinen Begierden getrieben und leidet darunter. Das Gesetz von Fressen und Gefressenwerden regiert Natur und Gesellschaft. Doch dahinter steht etwas – eine Urkraft, ein Wille. Er ist zu Beginn ein blinder Drang. Als solcher bringt er die ganze Welt aus sich hervor, vom bloßen Stein bis hin zum Menschen. Im Verlauf dieses Prozesses erkennt er sich selbst. Wir aber sind, auch und gerade in der Sexualität, von diesem Willen Getriebene und erleiden die daraus entstehenden Schmerzen.
    Nur zwei Möglichkeiten haben wir, dem dunklen Willen zu entkommen und frei zu werden: erstens durch die Künste und zweitens ethisch – indem wir diesen fürchterlichen Willen verneinen. Die christlichen Mystiker, so sagt Schopenhauer, haben uns schon gelehrt, dass Ruhe findet, wer der Welt entsagt. Aber noch befreiender ist die Verheißung des Nirwanas, wenn die Menschenseele Atman (!) in der Weltseele Brahman und damit in ewiger Stille aufgeht. Diese Stille erreicht, wer erkennt, dass alle Leid verursachenden Ereignisse in der Welt lediglich Erscheinungen des Willens sind und als solche keine eigene Wirklichkeit haben. Zu dieser Erkenntnis gehört aber auch, dass man mit der leidenden Kreatur mitempfindet und entsprechend handelt, weil man ja weiß: Eigentlich sind alle Lebewesen zu einer Leidensgemeinschaft verbunden. Denn in allen wirkt derselbe Wille und macht sie unruhig, unglücklich.
    Geschlechtlich Liebende handeln freilich genau entgegensetzt. Sie sind also, ohne es zu wissen, die Verräter an unserem Glück, weil sie »heimlich danach trachten, die ganze Not und Plackerei zu perpetuieren, die sonst ein baldiges Ende nehmen würde«. Die einzig richtige Art der Liebe ist nach Schopenhauer die asexuelle, mitleidige und helfende Liebe. Denn sie kehrt sich ab vom Diktat der Fortpflanzung und trägt dazu bei, dass es mit dem Leben auf Erden nicht ewig weitergeht, sondern irgendwann die erlösende Stille des Nichts einkehrt, »jener Friede, der höher ist als alle Vernunft, jene gänzliche Meeresstille des Gemüts«.
    Was sollen wir von solch einem Liebeskonzept halten, das die Möglichkeit, in der Liebe Glück zu erleben, so konsequent verneint? Vielleicht geht es ja zunächst nur um die Frage, ob wir in Schopenhauers Aussagen eigenes Erleben oder Denken wiedererkennen. Und das könnte tatsächlich sein. Wie viele nach Liebe Suchende haben ihr Tun nicht schon als Getriebenwerden erlebt und sich, während sie dem Diktat des Begehrens folgten, auch einmal nach Ruhe gesehnt? In jungen Jahren ist die »Meeresstille des Gemüts« natürlich kein Konzept. Aber je älter man wird, desto häufiger taucht vielleicht doch die Frage »Was mache ich hier eigentlich?« auf, während man samstagabends zum x-ten Mal das Outfit ändert oder sich vor angesagten Clubs die Beine in den Bauch steht. Auch der Entschluss, nicht um jeden Preis eine Beziehung haben zu müssen, sondern lieber allein zu bleiben, bevor man sich von einem Partner zu viel bieten lässt, geht in diese Richtung.
    Und doch, und doch … Anzunehmen ist, dass nur wenige Menschen auf Dauer mit besagter Meeresstille zufrieden sind. Da habt ihr’s, wir sind eben Getriebene, würde Schopenhauer, der zwiespältig Liebende, triumphierend

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