Ein unerhörter Ehemann (German Edition)
jeden Morgen vor dem Frühstück pflichtbewusst mitteilen, dass er sie liebe, damit die eheliche Eintracht gewahrt blieb. Denn sicherlich würde die Ehe mit einer derart gefühlsbetonten und nervösen Frau nicht einfach werden.
Gina zog ihren Handschuh aus und warf ihn aufs Bett. Der andere Handschuh blieb kurz hängen, und sie riss ihn herunter und warf ihn neben den ersten. Ein Perlmuttknopf sprang ab und hüpfte über den Boden davon. Das Geräusch erklang übermäßig laut vor dem Hintergrund des eintönig plätschernden Regens.
Einen Moment lang überlegte Gina, ob sie nach Annie klingeln sollte. Doch im Augenblick war sie so nervös , dass sie das arme Mädchen womöglich aus purer Ungeduld angeschrien hätte.
Der Aufruhr der Gefühle in ihrem Inneren machte die Vorstellung, sofort schlafen zu gehen, unerträglich. Sie war mit einem Marquis verlobt, der keine Miene verzog und in jeder Situation angemessen handelte. Und genauso würde er sich auch weiterhin verhalten, wenn sie erst einmal verheiratet waren.
Was hatte sie denn geglaubt? Sie ging zum Fenster und schlug die schweren Samtvorhänge zurück. Dass sich Sebastian, sobald er den Ring am Finger trug, plötzlich in einen liebevollen Ehemann verwandeln würde? Gina schob den Fensterriegel zurück. Er ist liebevoll, dachte sie widerwillig. Er ist nur nicht … er ist nicht leidenschaftlich. Leidenschaft war das, was in Esmes Augen aufblitzte, wenn sie von Bernies muskulösem Arm schwärmte. Leidenschaft lag in der Art, wie Esmes Ehemann Lady Childes Wange streichelte.
Sie selbst jedoch würde eher Zuneigung als Leidenschaft bekommen. Sebastian war ein verantwortungsvoller, nüchtern denkender Mann – und er begehrte sie nicht. Wie ein guter und ein böser Engel standen an ihrer linken und ihrer rechten Schulter: Verlangen und Verantwortung. Cam und Sebastian.
Ich könnte ihn umwerben, überlegte sie. Carola wirbt nun um Perwinkle; ich könnte das auch tun. Ein köstlicher Schauer rieselte ihr über den Rücken, als sie sich vorstellte, wie sie Cam umwarb – Cam mit seinen dunklen Augen und den starken Händen. Gewiss, sie konnte ihm schmeicheln – aber mit welchem Ziel? Dass sie ihn ins Bett bekam: sicher. Dass er sie liebte: zweifelhaft. Dass er mit ihr lebte und eine Familie gründete und den Herzog zu ihrer Herzogin spielte: unmöglich . Es war besser, bei Sebastian zu bleiben und Begehren in ihm zu wecken.
Der Garten verströmte einen dunklen, träumerischen Duft von regenfeuchten Rosen und nasser Erde. Der Regen fiel so spärlich, dass die Luft sich kaum abkühlte. Gina blieb am Fenster stehen und nahm ihren Kaschmirschal von den Schultern.
Eigentlich möchte ich das Geschenk meiner Mutter gern sofort haben, dachte sie. Sie hätte es auf jeden Fall angenommen, gleichgültig, was Sebastian davon hielt. Die Frage war nur: Wie sollte sie Cams Zimmer finden?
Annie platzte herein, bevor Gina es sich anders überlegen konnte. »Guten Abend, Mylady!«, sagte sie. »Wünschen Mylady zu Bett zu gehen?«
»Noch nicht«, erwiderte Gina. »Ich würde gern meinen Mann besuchen. Kannst du herausfinden, wo sein Zimmer ist?«
In den Augen ihrer Zofe stand gelindes Erstaunen.
»Wir haben rechtliche Angelegenheiten zu besprechen«, erklärte Gina.
»Sehr wohl, Mylady. Möchten Sie, dass ich nachschaue, ob Seine Gnaden noch unten weilt? Ich glaube, die meisten Damen und Herren haben sich mittlerweile auf ihre Zimmer begeben.« Sie ging zur Tür. »Wenn er nicht unten ist, frage ich Phillipos, wo er sich aufhält.«
Gina schaute ihre Zofe fragend an.
»Phillipos ist sein Diener«, erklärte Annie mit einem verschmitzten Lächeln. »Er ist Grieche. Ein unglaublicher Mensch! Hält sich für einen unwiderstehlichen Draufgänger.«
Gina setzte sich und wartete ungeduldig auf Annies Rückkehr. Der Gedanke, dass sie ihrer Mutter nichts bedeutete – schließlich hatte die Gräfin ihr nicht einmal nach dem Tode einen Brief hinterlassen – , hatte Gina sehr verletzt. Aber ein Geschenk konnte doch nur bedeuten, dass der Gräfin an ihrer Tochter gelegen war. Vielleicht hatte sie sogar Ginas Briefe gelesen! Vielleicht hatte sie sie geliebt … und sei es auch noch so flüchtig.
Am liebsten wäre mir ein Brief, dachte Gina. Oder ein Bild von ihr. Aber ein Brief wäre wunderbar, dachte sie wieder. Ein Brief aus der Hand meiner Mutter.
Annie kehrte zurück. »Seine Gnaden hat sich vor wenigen Minuten auf sein Zimmer begeben, Madam. Es ist die vierte Tür auf der
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