Ein unerhörter Ehemann (German Edition)
hinter ihr.
Gina blieb stehen und hörte das Trillern eines Vogels.
»Eine Nachtigall«, flüsterte Cam.
Der Vogel sang weiter. In Ginas Ohren klang es traurig. Als würde die Nachtigall von verlorener Liebe und einem verpfuschten Leben singen. Tränen rannen über ihre Wangen.
»Weinst du?«, fragte Cam, argwöhnisch wie alle Männer, die die Tränen einer Frau nicht ertragen konnten.
»Nein«, antwortete Gina bebend. »Das sind nur Regentropfen auf meinen Wangen.«
»Ein sehr warmer Regen.« Er stellte sich ihr in den Weg und berührte ihre Wange mit einem Finger. »Warum regst du dich so auf?« Ihm war dies alles ein völliges Rätsel.
»Meine Mutter hat mir eine nackte Statue geschenkt«, sagte Gina und unterdrückte den hysterischen Unterton in ihrer Stimme.
Cams Verwirrung brachte sie nur noch mehr auf.
»Sie war eine Dirne!«, rief Gina schrill. »Eine Kurtisane.« Fast spie sie die Worte aus. »Und ganz offensichtlich hat sie geglaubt, dass auch ich eine wäre!«
»Eine Dirne? Die Gräfin Ligny?«
»Ein liederliches Frauenzimmer. Eine Prostituierte , so wie es aussieht!«
»Unsinn«, entgegnete Cam. »Sie mag ein uneheliches Kind geboren haben, aber das macht sie noch lange nicht zu einer Dirne.«
Gina schritt weiter auf dem düsteren Weg, der feuchte Seidenstoff ihres Kleides hing schwer an ihren Beinen. »Was soll daran unsinnig sein? Sie hat nicht nur ein uneheliches Kind geboren. Sondern zwei.«
»Zwei?« Cam holte sie ein und ging an ihrer Seite.
»Meine Mutter hat dir also nicht erzählt, dass sie noch einen Erpresserbrief erhalten hat?«
Er packte ihren Arm und zwang sie, stehen zu bleiben. »Was steht in dem Brief?«
»Dass ich einen Bruder habe!«, fauchte Gina.
Cam stand mitten auf dem Pfad und versperrte ihr den Weg zum Haus. »Wurde in dem Brief Geld gefordert? Hast du ihn Rounton gezeigt?«
»Geld wurde nicht erwähnt. Der Brief ist direkt an meine Mutter geschickt worden. Rounton hat ihn noch nicht gesehen.«
»Ich rede mit ihm«, versprach Cam. »Wir müssen einen privaten Ermittler engagieren. Verdammt! Es tut mir ja so leid, dass es wieder dazu gekommen ist.«
»Ich glaube, auch dein Vater hat damals die Detektive bemüht.«
»Stand in dem Brief irgendetwas, das als Hinweis dienen könnte? War er in Französisch geschrieben?«
»Nein, in Englisch.«
»Seltsam«, murmelte er. »Der erste Brief war in Französisch.«
Gina zog die Stirn kraus. »Die Formulierungen waren ein wenig seltsam, der Inhalt jedoch nicht misszuverstehen: Die Aussage lautete, dass ich einen Bruder hätte.«
Cam runzelte die Stirn. Er umfasste ihre Oberarme gerade unterhalb der kurzen Ärmel und streichelte mit seinen Daumen in zärtlichen Kreisen über ihre frierende Haut. »Vielleicht waren die Formulierungen so seltsam, weil der Verfasser Franzose war.«
»Das glaube ich nicht. Aber wer außer einem Franzosen hätte über die Gräfin Bescheid wissen können? Wer wusste, dass sie noch andere Kinder hatte?«
Cam liebkoste immer noch ihre Arme und löste damit in Ginas Magengrube ein leises Beben aus. Er stand mitten auf dem Weg unter einem Birnbaum. Der Vollmond schien durch die Blätter und malte ein Muster auf seine breiten Schultern.
Unvermittelt wurde ihr bewusst, dass sein großer, starker Körper nur wenige Zentimeter von ihr entfernt war.
»Ich habe mir immer einen Bruder gewünscht«, sagte Cam.
»Darum geht es doch gar nicht!«, entgegnete Gina gereizt. »Wer würde sich schon einen unehelichen Bruder wünschen?«
»Du bist aber selbst ein uneheliches Kind, Gina.«
Diese Tatsache verdrängte Gina meist erfolgreich. »Ja«, gab sie kleinlaut zu. »Du hast recht.«
»Ich wollte nicht grausam sein«, beschwichtigte Cam sie. »Aber ich finde es wenig sinnvoll, sich wegen der Fehltritte der eigenen Eltern zu sorgen. Da würde ich ja völlig verrückt werden, bei dem Verhalten meines Vaters!«
»Der Herzog wusste doch stets Anstand und Sitte zu wahren. Ich bin sicher, dass du nicht eines Tages von unehelichen Geschwistern überrascht wirst.«
»Vielleicht. Aber Vater verhielt sich immer, als stünde er über dem Gesetz«, gab Cam zu bedenken. »Ich war ungefähr fünfzehn, als ich dahinterkam, dass er an zahlreichen rechtswidrigen Unternehmungen beteiligt war. Es ist ein wahres Wunder, dass er vor seinem Tod nie erwischt wurde.«
Gina starrte ihren Mann überrascht an.
»Aber ja doch«, bekräftigte Cam. »Hast du dich nie gefragt, woher sein ganzes Geld stammte, wo sein
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