Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
wundervoller Morgen.» Sie sah sich um. «Wo ist denn Lancelot? Ich dachte, er folgt Ihnen grundsätzlich wie ein Schatten?»
«Er ist in den Stall gegangen», sagte der Prinz lächelnd. «Würden Sie gern ein wenig spazieren gehen? Ich kann Ihnen den Park zeigen.»
Lily sah sich zögernd um. Vielleicht sollte sie lieber wieder zu Daniel hochgehen?
«Kommen Sie, Ihr Sohn kann doch sicher ein Weilchen ohne Sie bleiben, oder nicht?», bat er.
Verlegen lächelte sie. Der Prinz schien ihre Gedanken gelesen zu haben. «Entschuldigen Sie, ich bin so eine Glucke», sagte sie hastig. «Aber Daniel und ich waren so lange auf uns gestellt. Ich kann einfach nicht aufhören, mich um ihn zu sorgen», sprudelte sie los. «Er ist so ein ernster Junge, und er war so schrecklich traurig, als sein Vater starb, deswegen …»
«Sie sind eine gute Mutter, das ist kein Grund, sich zu entschuldigen», fiel Alexandre ihr ins Wort. «Kommen Sie mit mir in den Park, nur eine Weile.» Er bot ihr den Arm, und Lily ergriff ihn. Plötzlich war sie froh, dass sie ihr neues geblümtes Kleid trug. Es stand ihr ausgezeichnet, und sie hatte es zum ersten Mal hier in der Normandie an. Da sie sich für ihre Eitelkeit gleich schämte, schlug sie die Augen nieder und folgte Prinz Alexandre über die Treppe nach unten. Wenn er bloß nicht so unglaublich schick wäre. Sie war immer der Meinung gewesen, dass Seth gut aussah, doch dieser Franzose … Bei seinem Anblick benahm ihr Herz sich schrecklich unvernünftig. Wie alt mochte er wohl sein? Bestimmt ein Kind, verglichen mit ihr. Sie sollte sich schämen.
«Ich habe gehört, Sie sind Künstler?» Sie betrat den weichen Rasen.
Alexandre schüttelte den Kopf. Er führte sie zu einem kleinen Pfad. «Ich stecke gerade in einer schrecklichen Flaute», gestand er. «Ich weiß nicht, was ich machen soll.»
«Was würden Sie denn am liebsten machen?», fragte sie mit aufrichtigem Interesse, während sie verstohlen sein schönes Profil betrachtete.
Alexandre wandte sich zu ihr um. Der Blick seiner schwarzen Augen ließ sie nach Luft schnappen.
«Ich würde Sie gern malen», sagte er ernst.
Lily kam ins Stolpern. «Mich? Aber warum denn mich, um Himmels willen?», fragte sie.
Er nahm eine ihrer blonden Strähnen und steckte sie ihr hinters Ohr. «Kommen Sie, ich zeige Ihnen den Pavillon», sagte er.
Je mehr Seth daran dachte, was Beatrice auf dem Ausflug zu ihm gesagt hatte, desto mehr wühlte es ihn auf. In der Nacht hatte er wach gelegen und ihre Worte gedreht und gewendet, ohne ihre bizarren Anschuldigungen deuten zu können. Sosehr er sich auch bemühte, er konnte kein Körnchen Wahrheit darin entdecken. Was hatte er nur getan, um so fälschlich von ihr beschuldigt zu werden? Nichts! Sie war eine unberechenbare, manipulative, unbegreifliche Frau. Und eine Lügnerin. Er ging in seinem Zimmer auf und ab. Verdammt, war dieses Zimmer winzig! Gereizt riss er die Tür auf und ließ sie gegen die Wand knallen.
Auf dem Flur stand Beatrice und zuckte zusammen. Sie starrten sich an.
«Du hast mich erschreckt», sagte sie entrüstet. «Pass doch auf, bevor du so mit den Türen knallst.»
«Du!» Seth zeigte anklagend mit dem Finger auf sie. «Ich will mit dir reden.»
Sie hob das Kinn und sah ihm in die Augen. «Ja?», erwiderte sie hochmütig.
Ohne einen Moment zu überlegen, hatte er sie schon ins Zimmer gezogen.
Beatrice war völlig überrumpelt. «Was zum …»
«Keine Sorge. Ich will bloß unter vier Augen mit dir reden. Hier sind ja überall so viele Leute, ich verstehe gar nicht, wie du das aushältst.» Er machte die Tür hinter ihr zu.
Beatrice sah sich im Zimmer um. «Das ist äußerst unpassend», meinte sie. «Glaubst du nicht, dass Lady Tremaine gewisse Einwände hätte?»
«Und was würde dein Prinz dazu sagen?», konterte Seth.
Beatrice winkte nonchalant ab. «Sag, was du mir sagen willst. Man wartet unten auf mich.» Sie trat an sein Fenster und warf einen Blick hinaus.
Mit dem Rücken zu ihm spähte Beatrice nach den Gesichtern der unten Wartenden, als würde Seth ihre Aufmerksamkeit kaum verdienen.
«Warum hast du gesagt, ich hätte dir damals keinen Wagen geschickt?», begann er. «Ich habe das Schiff so lange zurückgehalten, dass man mir schon drohte, mich von Bord zu werfen. Du hast mir eine Botschaft geschickt, dass du nicht kommen wolltest.»
«Mach dich nicht lächerlich», sagte sie, ohne sich nach ihm umzudrehen.
«Du könntest zumindest so höflich sein, mich
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