Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
stöhnte sie auf, als er ihre Schulter berührte. Der Jackenärmel mit dem unbeweglichen Arm war blutdurchtränkt. Und obendrein war sie bis auf die Haut durchnässt und stand so unter Schock, dass sie kaum atmen konnte. Er hatte Verletzungen wie diese schon früher gesehen, sie konnten fatale Folgen haben, auch wenn man nicht ausgekühlt war. Er zog ihr seinen Rock über, drückte sie an die Brust und trieb besorgt sein Pferd an. Sie waren weit entfernt vom Schloss, doch als aufs Neue ein Blitz den Wald erhellte, glaubte er, sich wieder auszukennen. Die kleine Jagdhütte war nur noch ein kurzes Stück entfernt.
«Pscht, Liebling, alles wird gut», flüsterte er und trieb sein Pferd an. Er hatte den Eindruck, Beatrice würde sich an ihn schmiegen, doch als sie die Jagdhütte erreichten, hatte sie schon wieder das Bewusstsein verloren. Ohne sie zu wecken, stieg Seth ab, band das Pferd unter einem Regenschutz an und trug Beatrice in die dunkle Hütte. Vorsichtig legte er sie auf eines der beiden schmalen Betten, bevor er sich ans Einheizen machte. Dankbar stellte er fest, dass die Schutzhütte zwar spartanisch, aber perfekt ausgestattet war, und er fand sofort Zündhölzer und trockenes Brennholz. Rasch schürte er ein Feuer, bevor er sich zu Beatrice wandte, die immer noch reglos auf dem Bett lag. Die Platzwunde auf der Stirn hatte schon aufgehört zu bluten und sah nicht allzu tief aus. Der verletzte Arm jedoch lag schlaff neben ihr, und sie war weiß, fast grau im Gesicht. Dazu atmete sie in kurzen unregelmäßigen Stößen. Rasch begann er, ihr die kalten, nassen Kleider abzustreifen. Sowohl die Jacke als auch der Rock waren zerrissen und schlammverschmiert, und je mehr Schichten er ihr auszog, umso klarer wurde ihm, dass sie stark unterkühlt war. Fluchend stellte er fest, dass die Wunde an ihrem Arm wirklich tief war, auch wenn sie inzwischen nicht mehr blutete.
So schnell er konnte, zog er ihr die nassen Unterkleider aus und packte sie dann rasch in die Decken, die er in einem Schrank gefunden hatte. Danach stapelte er sämtliche Matratzen, Kissen und Decken, die er finden konnte, vor dem Kamin und bereitete ihr daraus ein Bett. Das Feuer brannte mittlerweile richtig, und langsam wurde es wärmer. Er hob sie auf das weiche Lager. Sie lag immer noch ganz still da, mit blauen Lippen und bleicher Haut, und Zweifel überkamen ihn. Wäre er doch besser mit ihr zum Schloss zurückgeritten? Er ging neben ihr in die Hocke und versuchte festzustellen, ob sie gleichmäßiger atmete und der Puls wieder kräftiger wurde. Sie wimmerte, und er strich ihr behutsam übers Haar. «Pscht, versuch ganz still liegen zu bleiben», bat er.
«Seth? Es tut so weh», flüsterte sie. «Wo bin ich?»
«Wo tut es weh?»
«Überall», antwortete sie mühsam. Sie versuchte sich ein wenig aufzurichten, doch es gelang ihr nicht, und mit schmerzverzerrtem Gesicht ließ sie sich wieder in die Kissen zurücksinken. «Das Pferd hat Angst bekommen», flüsterte sie. «Es hat mich abgeworfen.» Sie war immer noch blass, doch die Wärme des Kaminfeuers schien das Grau von ihren Wangen zu vertreiben.
«Du brauchst nicht zu sprechen, ruh dich einfach aus», sagte er.
«Ich bin mit dem Stiefel im Steigbügel hängengeblieben», murmelte sie mit geschlossenen Augen. «Ich glaube, ich bin ein Stück mitgeschleift worden.»
«Jetzt ist alles gut», beruhigte er sie und wünschte, er könnte sicher sein, dass er die Wahrheit sagte. «Aber ich muss deine Verletzungen untersuchen.»
Sie schlug die Augen auf, und trotz ihrer Erschöpfung zog sie die Decken fester um den Körper.
«Das ist nicht der richtige Moment, um schüchtern zu sein», meinte er zärtlich. Seine Hand wollte nicht aufhören, ihre Stirn zu streicheln. Trotz allem Elend konnte Seth ein Lächeln nicht unterdrücken. «Wenn ich mich recht erinnere, habe ich außerdem sowieso schon das meiste gesehen», neckte er sie.
Beatrice ließ die Decken nicht los, doch er sah, wie schnell ihre Kräfte sie wieder verließen. Besorgt schüttelte er den Kopf. «Wenn du mich nicht nachsehen lässt, muss ich losreiten und einen Arzt holen», sagte er. «Ich kann dich nicht wieder auf ein Pferd setzen, wenn ich nicht weiß, wie schwer du verletzt bist.»
«Es geht mir gut», protestierte sie matt, doch dann stöhnte sie wieder gequält auf, und Seths Besorgnis nahm zu.
«Dann wäre das entschieden», sagte er. «Du brauchst einen Arzt. Vermutlich hast du eine starke Gehirnerschütterung, und
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