Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
So wurden wir getrennt, aber die anderen waren direkt hinter uns.»
Seth entspannte sich ein wenig und zwang sich, wieder normal zu atmen. Beatrice war bei der anderen Hälfte der Gruppe. Es gab keinen Grund zur Sorge.
«Er ist verletzt!», rief jemand, und in der Halle brach ein kleiner Tumult aus, als ein humpelnder Mann hereingeführt wurde. Es war Alexandre. Auf einen Schlag waren Seths Instinkte geweckt. Der Prinz war ganz grau im Gesicht und stützte sich auf einen Diener. Seth bahnte sich einen Weg zu ihm. «Wo ist Beatrice?», fragte er, ohne seine Sorge länger verbergen zu können.
«Sie wurde von mir getrennt und muss mit der anderen Gruppe gekommen sein», stieß Alexandre zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Mit einem Bein konnte er überhaupt nicht auftreten.
«Nein, bei der anderen Gruppe war sie nicht dabei. Wo ist sie?», schrie Seth. Es war offensichtlich, dass der Prinz vor Schmerzen fast zusammenbrach, aber das hatte er auch verdient, wenn er Beatrice verloren hatte. Und wenn ihr etwas zugestoßen war, dann würde er Alexandre auch noch die restlichen Knochen brechen, einen nach dem anderen, und es würde ihm ein Vergnügen sein.
«Da kommt ein Pferd», rief jemand.
Schon bevor Seth in den stürmischen Regen hinauslief, wusste er, dass es die kastanienbraune Stute war. Grimmig starrte er auf den leeren Sattel des Tieres. Einige andere kamen ebenfalls nach draußen und sahen besorgt auf das Pferd. Seth machte auf dem Absatz kehrt. «Ich reite ihr nach», rief er Jacques zu, als er ihm in der Halle begegnete.
«Bald kann man die Hand vor Augen nicht mehr sehen bei diesem dichten Regen.»
«Ein Grund mehr, sich zu beeilen.»
Jacques nickte, und zehn Minuten später blickte er seinem Freund nach, der auf einem schnaubenden Hannibal durch den Sturm davonjagte.
«Ich habe den Dienern Bescheid gegeben, dass wir Decken und viel heißen Tee brauchen», sagte Vivienne, als sie neben Jacques trat. «Glaubst du, er findet sie?»
«Wenn irgendjemand Beatrice finden kann, dann Seth», meinte Jacques.
Der große Hengst trug ihn mühelos durch das Unwetter, doch Seth bemühte sich dennoch, hochkonzentriert zu bleiben und sich nicht auszumalen, was Beatrice zugestoßen sein könnte. Er versuchte, nicht daran zu denken, wie schnell der peitschende Wind und der erbarmungslose Regen einen verletzten Menschen auskühlen konnten. Nicht zuletzt eine zarte Frau, die bloß eine dünne Reitjacke trug.
Er hatte nur eine ungefähre Vorstellung davon, wo er sich befand. Vor einer guten Weile war er an der Jagdhütte und dem See vorbeigeprescht, und der Wald wurde immer dichter. Es gab kaum noch einen Weg, der diesen Namen verdient hätte, und das Unwetter erschwerte die Orientierung zusätzlich. Es war unwahrscheinlich, dass sich die vergnügte Gesellschaft so weit hinausgewagt hatte, dachte er und fluchte laut. Trotzdem trieb er Hannibal an und zwang das Pferd, weiter durch den immer stärker werdenden Sturm zu galoppieren.
Doch wäre das Unwetter nicht gewesen, hätte er sie wahrscheinlich nie gesehen, so genau er den Waldweg auch absuchte. Als allerdings ein schwefeliger Blitz den Wald erhellte und Hannibal sich erschrocken aufbäumte, entdeckte Seth plötzlich ein regloses Bündel am Wegesrand. Sie lag mit dem Gesicht nach unten im Laub und Moos, das Haar klebte ihr am Kopf, und der Regen peitschte auf sie nieder.
Er beruhigte Hannibal und saß ab, hielt die Zügel aber gut fest – das war nicht der Moment, noch ein Pferd zu verlieren, weil es vor dem Gewitter scheute. Dann untersuchte er die leblose Gestalt. Obwohl er sich in dem Sturm schwertat, meinte er, ihren Puls zu fühlen. Behutsam hob er Beatrice hoch und hörte sie heiser stöhnen.
Inzwischen war der Nachmittag in den Abend übergegangen, und abgesehen von den Augenblicken, in denen es blitzte, war es pechschwarz um sie herum.
«Du musst mir die Arme um den Hals legen, sonst komme ich nicht aufs Pferd», forderte er sie auf, während das Unwetter rundherum krachte und donnerte. Ihr Kopf rollte haltlos hin und her, und sie machte keine Anstalten, zu tun, worum er sie gebeten hatte.
«Beatrice, du musst aufwachen und mir helfen», sagte er und schüttelte sie leicht.
Langsam begann sie sich zu bewegen. Ihr einer Arm hing erschreckend unbeweglich herab, doch es gelang ihr, ihm den anderen um den Hals zu legen. Er manövrierte sie beide aufs Pferd. Ihr Gesicht war ganz blutig, und er sah eine Platzwunde auf ihrer Stirn. Außerdem
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