Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
möglich sein.
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Paris
September 1882
Als das Erntefest vorüber war und alle Gäste das Schloss verlassen hatten, beschlossen Jacques und Vivienne, mit Seth und Beatrice eine Reise nach Paris zu unternehmen.
Eines schönen Vormittags Ende September hatten sie schließlich die meisten Sehenswürdigkeiten besichtigt, die die französische Hauptstadt zu bieten hatte, und flanierten nun gemächlich durch die Tuilerien. Die Bäume des berühmten Parks waren in Rot und Gold entflammt, und auf den Alleen waren zahlreiche Spaziergänger unterwegs, die das Gesicht in die Sonne hielten und das milde Herbstwetter genossen.
Vivienne und Beatrice gingen Arm in Arm vor Seth und Jacques. Hinter ihnen lag der Arc de Triomphe, und als die beiden Frauen laut auflachten, musste Seth über Beatrices Fröhlichkeit lächeln. Er stellte sich vor, wie er die Schleife unter ihrem Hut löste, ihr durchs Haar fuhr und sich in ihrem Duft vergrub.
Als hätte sie seine Gedanken gehört, drehte sie sich zu ihm um. Sie lächelte das breite Lächeln, das nur für ihn allein bestimmt war, wie er sich gerne einredete, und dann drehte sie sich wieder zu Vivienne um. Es war viel zu laut im Park, als dass Seth hätte hören können, worüber sich die Frauen unterhielten, doch da sie zum Louvre hinüberdeuteten, nahm er an, dass sie über Kunst diskutierten.
Er wandte sich zu Jacques. Bis jetzt hatte Seth nicht besonders viel über die Hintergründe von Beatrices erster Ehe erzählt, doch er wusste, dass Jacques gerne mehr darüber wissen wollte. «Erinnerst du dich an Edvard Löwenström?», begann er.
«Sofias Bruder?» Jacques klang geistesabwesend. Sein Blick hing sehnsüchtig an seiner frisch angetrauten Ehefrau. Vivienne und er hatten sich tags zuvor im Hôtel Meurice trauen lassen. Es war eine schlichte Zeremonie gewesen, mit Beatrice und Seth als Trauzeugen. Hinterher hatten sie in einem der berühmtesten Restaurants diniert. Sie hatten Austern gegessen und Champagner getrunken, und dieser fröhliche Abend gehörte zu den schönsten, die Seth in seinem Leben je gehabt hatte.
«Jacques, hörst du mir zu?»
Jacques blinzelte und riss seinen Blick von Vivienne los. «Entschuldige. Ja, ich habe Edvard auf Johans Hochzeit kennengelernt. Warum fragst du?»
Seth erzählte die Geschichte von der Absprache zwischen dem Grafen, Wilhelm und Edvard und welches Opfer das für Beatrice bedeutet hatte.
«Was für Schweine!», rief Jacques, und er fluchte, als Seth ihm alles erzählt hatte. «Die sollte man auspeitschen. Und lebend häuten.» Er sah zu den beiden Frauen, die gerade mit einem völlig hingerissenen Maronenverkäufer sprachen. «Die arme Beatrice.»
«Ja», stimmte Seth zu. «Und ich war so ein Idiot.»
Jacques knuffte ihn freundschaftlich in die Schulter. «Das ist freilich nichts Neues.»
«Nein, wohl nicht.»
Jacques musterte Seths Gesicht. «Und jetzt denkst du also darüber nach, ob du Edvard und ihren Onkel erschlagen sollst oder nicht?», stellte er fest.
«Ich muss zugeben, dass mir solche Gedanken schon gekommen sind», räumte Seth zögernd ein.
Jacques blieb stehen. «Ich kann nicht behaupten, dass ich das nicht auch gern täte», sagte er ernst. «Aber auch wenn sie Schweine sind – das wäre Mord.»
«Ich weiß», erwiderte Seth und beschloss, seinem Freund zu verschweigen, dass er Leute ausschicken wollte, die den Mann aufspüren sollten, der so viel Leid verschuldet hatte. Es ist besser, wenn Jacques nichts von meinem Plan weiß, dachte Seth. Ich weiß zwar noch nicht, was ich mit Edvard tun werde, wenn ich ihn finde, aber mir wird schon etwas einfallen. Beatrice sollte nie mehr Angst vor Edvard haben müssen.
«Wie kann ich dir helfen?», riss Jacques ihn aus seinen Gedanken.
«Ich will dich da nicht mit hineinziehen, das ist mein Problem», antwortete Seth.
Jacques schnaubte. «Du bist wirklich unerträglich. Du kannst mir doch nicht so etwas erzählen und dann sagen, dass du das alleine schaffst. Du brauchst mich. Wenn ich dir nicht auf die Finger schaue, endet es nämlich garantiert damit, dass du am Galgen landest. Und wer soll sich dann um Beatrice kümmern?»
«Am liebsten würde ich Edvard und Wilhelm natürlich den Hals umdrehen», gab Seth zu. «Aber es sind immerhin ihre Angehörigen, ihre Familie. Ich kann ja schlecht losziehen und ihre Verwandten erschlagen.» Er musste um Beatrices willen darauf verzichten, auf die Art für Gerechtigkeit zu sorgen, wie er es gern getan
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