Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
dieses neue Verhalten bei Seth bewirkte, sah auf jeden Fall interessant aus mit ihren dramatischen Farben und der lebhaften Körpersprache, dachte Olav. Er hatte freilich schon bedeutend schönere Frauen gesehen, die sich überschlagen hatten, um einem gelangweilten Seth mehr als ein ironisches Ja oder Nein zu entlocken. Doch jetzt sah er Seth so heftig lachen, dass er sich beinahe an seinem Wein verschluckte. Beatrice lächelte, und das freute ihn. Offenbar gab es noch Hoffnung auf dieser Welt.
«Aber Sie denken doch bestimmt, dass Männer intelligenter als Frauen sind?», erkundigte sich Beatrice.
Seth schnaubte beleidigt. «Muss ich Sie daran erinnern, dass ich Sie beim Souper des Landeshauptmanns verteidigt habe, als Rosenschöld seine dümmliche Rede über die geringen intellektuellen Fähigkeiten der Frauen hielt?»
«Nein, daran müssen Sie mich nicht erinnern», erwiderte sie lächelnd. «Ich entsinne mich noch sehr gut. Es ist mir vorher noch nie passiert, dass mich jemand so verteidigt hat. Damals muss ich wohl auch …» Beatrice verstummte, als sie merkte, dass sie sich beinahe verplappert hätte.
«Was?»
«Damals muss ich begriffen haben, dass Sie gar nicht so schrecklich sind», sagte sie leichthin.
«Ich fühle mich geehrt, Beatrice.» Sein Blick blieb an ihrem Mund hängen, und ärgerlicherweise wurde sie wieder rot.
«Dann glauben Sie also, dass Frauen und Männer im Grunde gleich sind?», fuhr sie schnell fort.
Er lehnte sich zurück und musterte sie herausfordernd. «Das habe ich nun wirklich nicht gesagt», widersprach er. «Abgesehen von den ganz augenscheinlichen Unterschieden gibt es auch noch andere Eigenschaften, die die Geschlechter unterscheiden.»
«Und zwar?»
«Frauen sind zum Beispiel selbstsüchtig und ihrer Natur nicht treu.»
In ihr stieg ein Lachen hoch. «Versuchen Sie mich absichtlich zu reizen oder sind Sie wirklich der Meinung, dass eine Frau nicht loyal und selbstlos sein kann?»
«Ich habe diese Eigenschaften noch bei keiner Frau finden können», erwiderte er im Brustton der Überzeugung.
Wenn er meinte, sie provozieren zu können, dann täuschte er sich aber, dachte sie. Nicht umsonst war sie in ihrer Kindheit von der intellektuellen Elite Uppsalas unterrichtet worden.
«Es ist vielleicht ein wenig einfältig, wenn man sich nur auf seine eigenen Erlebnisse verlässt», gab sie sanft zurück. «Und woher wollen Sie wissen, dass nicht Ihre vorgefassten Meinungen beeinflussen, was Sie zu sehen glauben – und nicht umgekehrt?»
«Meinen Sie damit, ich hätte Schwierigkeiten, Phantasie und Wirklichkeit zu unterscheiden?», fragte er.
«Ich glaube, dass es ganz klug ist, wenn man seine Beobachtungen nicht gleich als allgemeingültige Wahrheiten betrachtet. Wir werden oft mehr von unseren Gedanken und Gefühlen gelenkt als von den objektiven Tatsachen. Und da das für alle Menschen gilt, lautet die Schlussfolgerung, dass es auch für Sie gilt.»
«Hmm.» Seth drehte sein Weinglas in der Hand. «Das darf ich auf keinen Fall vergessen, Jacques zu erzählen, dass ich mehr von Gefühlen gelenkt werde als von objektiven Fakten. Der wird sich totlachen.»
Sie lächelte über seinen entwaffnenden Humor und fühlte, wie sie sich unaufhaltsam immer mehr in ihn verliebte.
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7
Nachdem es am Abend zuvor reichlich spät gewor den war, schliefen die meisten der Gäste auf Irislund bis weit in den Vormittag hinein. Nur Beatrice war früh wach. Sie beschloss hinauszugehen, bis das Haus zum Leben erwachte.
Auf dem Hof herrschte schon munteres Treiben: Tiere wurden gefüttert, die Dienstmädchen fegten, die Kinder spielten. Millas Kinder stiefelten im Schnee umher, und ein paar ältere Jungs zettelten eine Schneeballschlacht an. Beatrice beobachtete sie, während sie nachdenklich selbst einen Schneeball formte. Als kleines Mädchen hatte sie selten spielen dürfen, und sie erinnerte sich noch gut daran, wie sie sich gewünscht hatte, mitmachen zu dürfen, wenn die anderen Kinder vor ihrem Fenster herumtollten. Ihre Eltern hatte es sicher gut gemeint, aber es war falsch gewesen, dachte sie wehmütig. Sie war unnötig einsam gewesen und hatte immer ein wenig im Abseits gestanden, und daran hatte sich erst etwas geändert, als sie Sofia kennenlernte.
Plötzlich hörte sie hinter sich das gedämpfte Geräusch von Pferdehufen auf Schnee, und sie drehte sich gerade noch rechtzeitig um, um Seth mit dem temperamentvollen Jupiter auf den Hof galoppieren zu
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