Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
schwedischen Militär gearbeitet», erklärte er. «Aber als mir mein bester Freund, Jacques Denville, vorschlug, nach Amerika zu gehen und reich zu werden, habe ich den Dienst quittiert und bin mitgefahren.» Der Entschluss war ihm damals nicht schwergefallen, erinnerte er sich, nach dem Krieg hatte er das Dasein als Offizier nur noch gehasst. Beatrice wusste ja gar nicht, wie recht sie hatte, als sie das heroische Bild des Krieges infrage stellte.
«Und, was haben Sie in Amerika gemacht?»
Seth lächelte über ihren Eifer. Sie war keine berechnende Frau, die genau wissen wollte, wie reich er war, sondern hörte ihm aus reinem Interesse zu. Und das machte einen deutlichen Unterschied. «Wir haben gearbeitet. Wir haben mit bloßen Händen Eisenbahnlinien gebaut.»
Das war eine gefährliche Arbeit gewesen, er wusste nicht, wie viele Männer er hatte sterben sehen, während sie die Schienen quer über den amerikanischen Kontinent verlegten. Aber für die Überlebenden hatte sich die unmenschliche Arbeit ausgezahlt. Amerika war ein Land, in dem der gesellschaftliche Hintergrund keine Rolle spielte, dort wurde ein Mann an seiner Leistung gemessen. «Wir haben unseren gesamten Verdienst in verschiedene Unternehmen investiert. Vorher haben wir das Risiko genau kalkuliert, und dann hatten wir eben Glück.»
«Es lag sicher auch an Ihrer Tüchtigkeit», meinte sie.
«Ja, man sollte den Nutzen einer militärischen Ausbildung nicht unterschätzen, wenn es um den Umgang mit Risikokapital geht», sagte er lächelnd.
Sie lächelte zurück, und Seth erkannte plötzlich, dass aus ihrem eifrigen Blick die Sehnsucht nach Abenteuern leuchtete. Und zum ersten Mal fragte er sich, was eine Frau wie Beatrice Löwenström mit ihrem Wissensdurst und ihrem offensichtlichen Bildungsstand den ganzen Tag über trieb. Diese Frau, die sich heimlich auf die Suche nach Gemälden gemacht hatte, war von Gouvernanten erzogen worden, die ihre Ecken und Kanten abzuschleifen versuchten, und man erwartete von ihr, sich auf Spaziergängen unverfänglich zu unterhalten. Sie konnte nicht einfach beschließen, zu studieren, zu reisen und zu arbeiten, wie er es getan hatte. Die Konventionen fesselten sie an ein Leben, das sie sich so nicht ausgesucht hatte.
«Danke, dass Sie mir davon erzählt haben», sagte sie leise.
Er spürte, wie sich ein warmes Gefühl in seiner Brust ausbreitete.
Von der anderen Seite des Tisches beobachtete Olav Erlingsen verblüfft seinen ältesten Ziehsohn. Er kannte ihn von Kindesbeinen an, und er hatte ihn noch nie so … so heiter gesehen wie heute Abend. Als er bemerkte, wie sehr sich der grobe, arrogante Seth Hammerstaal bemühte, eine Frau bei Laune zu halten, fühlte er ein Brennen im Hals, und er musste sich kurz räuspern, bevor er auf eine Frage von Miss Mary Highman antworten konnte. Er warf noch einen verstohlenen Blick auf seinen Ziehsohn und erkannte die Zielstrebigkeit wieder, die er schon so oft an Seth beobachtet hatte. Als der Junge bei ihm auf dem Pfarrhof eingezogen war, einen Tag nachdem seine Mutter, die schöne, aber verrückte Torunn, ihn um ein Haar totgeschlagen hätte, war er völlig ausgehungert gewesen und verbrachte viel Zeit bei der Köchin, die seinen Hunger nur zu gerne stillte. Doch obwohl der Junge irgendwann gelernt hatte, dass er sich auf regelmäßige Fürsorge verlassen konnte, wurde der junge Mann immer noch von einer inneren Begierde getrieben. Statt Nahrung begehrte er jetzt Erfolg, Kontrolle und Macht. Wahrscheinlich tat jemand, der so lange machtlos gewesen war, alles, um selbst die Kontrolle zu erlangen, dachte Olav. Oft wurde Seth als kalter, fast schon rücksichtsloser Geschäftsmann beschrieben, doch Olav war einer der wenigen, der von seinen anderen Aktivitäten wusste, von seiner umfangreichen Wohltätigkeitsarbeit in Schweden und in Amerika und nicht zuletzt von seiner unermüdlichen Sorge für die Menschen, die ihm nahestanden, von der Loyalität, die er seinen Freunden entgegenbrachte, und dem starken Beschützerinstinkt gegenüber Christian. Doch obwohl er anderen so viel gab, nicht zuletzt in materieller Hinsicht, fand sich da immer noch allzu viel, was Seth für sich behielt und mit keinem teilte. Das hatte ihn unnötig einsam gemacht, und deshalb lächelte Olav, als er nun die altbekannte Zielstrebigkeit in den Augen seines Pflegesohnes entdeckte. Und seine Stimmung hellte sich noch weiter auf, als er Seths schallendes Gelächter hörte. Die rothaarige Frau, die
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