Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
sein. Mit einem aufgesetzten strahlenden Lächeln glitt sie durch den Saal. Sie nickte und lächelte. Sie grüßte und lächelte. Ah, es gab Champagner, sah sie und nahm sich eines der Gläser, die herumgereicht wurden. Rasch kippte sie das sprudelnde Getränk und griff sich gleich noch ein Glas, bevor das Silbertablett weitergetragen wurde. Solange sie das Lächeln nicht vergaß, würde alles gutgehen.
Da sie den ganzen Tag kaum etwas gegessen hatte, noch weniger als in den letzten drei Wochen, spürte Beatrice rasch die Wirkung des Alkohols und stellte fest, dass es ihr schon lange nicht mehr so gut gegangen war. Champagner war ein Universalheilmittel, beschloss sie, während sie unruhig nach bekannten Gesichtern Ausschau hielt. Juliana Sparre rauschte in ihrem gewagten Kleid vorbei und verteilte Wangenküsschen und heiseres Gelächter. Der Schnitt steht ihr überhaupt nicht und ist obendrein schrecklich vulgär, dachte Beatrice und nahm sich das nächste Glas.
In ihrem Kopf drehte es sich schon ganz leicht, aber noch nicht zu sehr.
Ich muss zugeben, so viel hab ich in meinem ganzen Leben noch nicht gelacht, dachte Beatrice eine gute Stunde später. Ein paarmal hatte sie Seth vorbeigleiten sehen – er war wirklich der perfekte Gastgeber –, aber sie vermisste ihn nicht, obwohl er umwerfend elegant aussah in seinem dunklen Abendanzug. Zwischendurch sah sie, wie er dem einen oder anderen Gast zulächelte, und dann machte ihr Herz kurz einen kleinen Sprung, aber im Übrigen nahm sie kaum Notiz von ihm.
Gut, dass sie nach Wadenstierna mitgekommen war. Sie war so dankbar dafür, dass sich ihr nun die Möglichkeit eröffnete, Seth Hammerstaal und seine allzu rasch verglühenden Leidenschaften ein für alle Mal zu vergessen.
«Fräulein Beatrice?»
Sie blinzelte. Beim besten Willen konnte sie sich nicht erinnern, was der Mann, mit dem sie sich anscheinend gerade unterhielt, zu ihr gesagt hatte. «Wie bitte?»
«Ich habe gefragt, ob ich Ihnen nachschenken soll», erklärte er mit einem vielsagenden Lächeln und deutete auf ihr leeres Champagnerglas.
Sie wollte gerade antworten, als sie bemerkte, wie Seth sich zu Juliana Sparre vorbeugte. Das Paar stand nur wenige Meter entfernt, und sie sah, wie Juliana über etwas lachte, was er zu ihr gesagt hatte. Er wiederum lächelte hintergründig, und in diesem Moment war ihr, als hätte man ihr ein Messer mitten in die Brust gestoßen. Der Saal drehte sich vor ihren Augen. Sie schluckte, schloss die Augen und stützte sich dankbar auf den Arm, den ihr der aufmerksame Kavalier hinhielt.
«Fräulein Beatrice?»
«Ich glaube, ich brauche ein wenig frische Luft», murmelte sie, während der Raum sich immer schneller um sie drehte.
Seth blickte in dem Moment auf, als Beatrice aus dem Saal verschwand. Das sah ihr ähnlich. Sollten ihre Verwandten nicht ein wachsameres Auge auf sie haben? Warum hielten sie Beatrice nicht besser unter Aufsicht? Seth sah sich um. Von der Familie Löwenström war niemand zu entdecken, offenbar hatte nur er Beatrices unpassenden Abgang bemerkt. Er wandte sich wieder der Konversation mit seinen Gästen zu, konnte sich aber nicht auf die Gespräche konzentrieren. «Entschuldigen Sie mich», sagte er schließlich und ließ mitten im Satz eine verblüffte Runde stehen.
Er trat auf den Flur. Weit und breit keine Spur von ihr. Da begann er sie zu suchen, und bei jedem Schritt wurde er wütender. Seine schlechte Laune kam in erster Linie von seinen Pflichten als Gastgeber. Er hatte alles Recht der Welt, sich aufzuregen, wenn einer seiner Gäste solche wahnwitzigen Risiken einging. Da würde er bei jedem so reagieren. Und wenn er sie gefunden haben würde, würde er sie wissen lassen, was er von ihrem Benehmen hielt. Das Problem war nur, dass sie nirgends zu sehen war.
Seth fluchte. Diese Frau wusste, wie man Probleme machte. Eigentlich sollte er sie einfach ihrem Schicksal überlassen, damit sie ihren guten Ruf ganz nach Gutdünken ruinieren konnte. Aber er war verantwortlich für dieses Fest, und er wollte keine Skandale, erinnerte er sich. Gleichzeitig brachten die Bilder der rothaarigen Verführerin in den Armen eines weniger vertrauenerweckenden männlichen Gastes sein Blut zum Kochen. Er riss eine Terrassentür so heftig auf, dass er sie fast aus den Angeln hob. Der Abend war kalt und sternenklar, und er trat hinaus, um die Winterluft tief einzuatmen und sich abzukühlen. Er ging um die Hausecke.
Und da stand sie. Ihr weißes Kleid
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