Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
mit seinem intensiven Blick ansah, bildete sie sich plötzlich ein, dass es ihm vielleicht genauso gegangen war. Nur um sich dann abweisen lassen zu müssen wie eine peinliche Betrunkene. Sie stöhnte. Sie wäre so gern wütend auf ihn gewesen, aber ihr schlechtes Gewissen versetzte ihr doch einen Stich. Sie hatte sich gedankenlos benommen, Seth hatte recht. Er hatte sie in einer Situation vorgefunden, die leicht böse hätte ausgehen können. Dann hatte er sie durch seine brüske Abweisung zwar gedemütigt, aber sie konnte ihm kaum böse dafür sein, dass er sich neu orientiert hatte, sosehr es sie auch schmerzte. Beatrice glitt durch die Tür zurück in den Ballsaal und setzte sofort wieder ein strahlendes Lächeln auf. Sie wollte weder Seth noch irgendjemand anders zeigen, wie elend ihr zumute war. Innerlich mochte sie sich fühlen, als wäre sie tot, doch sie wollte zumindest so aussehen, als würde sie sich prächtig amüsieren.
Seth tat sein Bestes, sich nicht mehr um Beatrice zu scheren, aber das war völlig unmöglich, solange sie in seinem Ballsaal Hof hielt und offen mit jedem Mann schäkerte, der zufällig vorbeikam. Sie saß inmitten einer ganzen Schar junger Männer, die allem Anschein nach um ihre Aufmerksamkeit wetteiferten. Jedes Mal, wenn ihr perlendes Lachen wieder zur Decke stieg, war er gezwungen, sein Glas abzustellen, weil er es sonst in der Hand zerquetscht hätte. Warum machte keiner diesem unglaublichen Verhalten ein Ende? Waren sie alle blind? Er schnaubte. Wenn es niemand anders tat, würde er das wohl übernehmen müssen. Es war seine verdammte Pflicht. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Man konnte meinen, er sei der einzige verantwortungsbewusste Mann im ganzen Schloss. Das hier war definitiv das erste und letzte Mal, dass er eine Verlobungsfeier ausrichtete.
Ist doch seltsam, dachte Beatrice, einmal kümmere ich mich nicht um diese ganzen Ermahnungen und Verbote, was eine Frau alles sagen, tun oder denken darf, und schon amüsiere ich mich ganz köstlich.
Sie warf einen Blick in ihren Ausschnitt. In den letzten Wochen hatte sie abgenommen, sodass ihre Zofe ihr das Korsett enger denn je geschnürt hatte. Und nun wurden ihre Brüste derart nach oben gepresst, dass sie geradezu aus dem tiefen Ausschnitt hervorquollen, und sie war Frau genug, um zu wissen, dass sie die Männer nicht nur mit ihrer intelligenten Konversation anzog. Und auch das hatte seinen Reiz. Jahrelang hatte es nicht so ausgesehen, als hätte ihr das Schicksal weibliche Formen zugedacht, und große, flache Frauen in hässlichen Kleidern hatten selten Erfolg im gesellschaftlichen Leben, besonders nicht, wenn sie in Begleitung einer Sylphide namens Sofia unterwegs waren. Daher genoss sie es. Und hob die Brust noch ein wenig mehr. Sie war eben auch bloß ein Mensch.
«Fräulein Beatrice, Herr Hammerstaal hat für morgen ein Pferderennen angesetzt. Ich dachte … ob Sie mir vielleicht die Ehre erweisen würden, mich zu unterstützen?» Der Mann hatte lange Wimpern und hohe Wangenknochen.
Beatrice verdrehte die Augen. «Wettrennen durch den Wald, das ist wieder so typisch Mann.»
«Aber wir tun das doch alles bloß, um euch Frauen zu imponieren», sagte er, und die anderen Männer nickten zustimmend.
Beatrice wedelte mit der Hand. «Aber uns Frauen kann man nicht imponieren, indem man im Kreis reitet. Das bringt doch nichts. Wenn Sie schon irgendwohin reiten müssen, sollten Sie uns zumindest etwas mitbringen.»
Einer von ihnen protestierte, aber die meisten Männer lachten laut, und da lächelte sie auch. Zerstreut blickte sie zur Seite. Er steht immer noch da, stellte sie fest. Für einen Mann, dem ihre Verführungskünste unerwünscht waren, schien Seth ja äußerst interessiert an ihrem Tun und Lassen. Wohin sie auch blickte, er stand da und funkelte sie unheilverkündend an.
«Wie kann man Ihnen denn dann imponieren, Fräulein Beatrice? Abgesehen davon, dass man Ihnen etwas mitbringt?»
Ein dunkelhaariger Mann mit klugen Augen hatte die Frage gestellt, und sie war völlig unvorbereitet, als sie sich selbst antworten hörte. Es gab ihrem Herzen einen Stich.
«Das ist nicht schwer», sagte sie leichthin. «Uns Frauen kann man so einfach imponieren, wir verlieben uns wegen der geringsten Kleinigkeit.» Sie zwang sich zu einem Lächeln. «Und ich werde Ihnen morgen natürlich allen die Daumen halten.» Sie blickte gerade rechtzeitig auf, um zu sehen, wie Seth direkt auf sie zusteuerte. Er sah wütend aus, und
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