Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
besuchte.
Sie gaben sich die Hand und tauschten ein paar Höflichkeitsphrasen. Hjalmar war nicht ganz wohl in seiner Haut. Er hatte diesen Besuch so lange wie möglich hinausgezögert, doch seine Frau hatte ihm ununterbrochen in den Ohren gelegen, und schlussendlich hatte sein Wunsch nach häuslichem Frieden seine Abneigung überwogen, andere Leute zu belästigen.
Hjalmar verschränkte die Arme, lehnte sich in seinem Sessel zurück und setzte eine ernsthafte, aber offene Miene auf, die Karin immer sein «Landesvatergesicht» nannte.
«Ich will über Beatrice sprechen», begann er und zog den Brief aus der Brusttasche, der ihm so viel Kopfzerbrechen bereitet hatte.
«Ich verstehe nicht recht.» Wilhelms Gesicht war eine höfliche Maske.
«Meine Frau macht sich Sorgen, dass das Mädchen einer … einer ungebührlichen Einflussnahme ausgesetzt ist.»
Wilhelm hob eine Augenbraue, sagte aber nichts.
«Karin und ich waren immer sehr angetan von Beatrice. Wir haben ja keine eigenen Kinder, und … nun …» Er schüttelte den Kopf. «Wir sind doch zwei verständige Menschen, wir können die Sache sicher klären», meinte Hjalmar. «Meine Frau macht sich Sorgen, dass Beatrice zu etwas gezwungen wird, wofür sie nicht bereit ist.» Entschuldigend zuckte er mit den Schultern. «Vielleicht ist das alles ein Missverständnis. Beatrice ist jung und lebhaft, und sie hatte schon immer allerlei Gedanken im Kopf. Doch der Inhalt ihres Briefes ist solcher Art, dass ich auf jeden Fall ein paar Worte mit ihr wechseln möchte.»
«Ich verstehe.» Wilhelm betrachtete ihn kurz, bevor er die Teetasse abstellte und nach dem Dienstmädchen läutete. «Hol Fräulein Beatrice», befahl er.
Hjalmar räusperte sich verlegen. «Ich hoffe, Sie haben Verständnis für meine Situation. Ich will nur das Beste für dieses Mädchen, und ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich mich nicht mehr so viel um sie kümmern konnte wie früher.»
«Was stand denn in diesem Brief?», wollte Wilhelm wissen. «Ich bin nur neugierig. Natürlich kann Beatrice schreiben, wem sie will und was sie will, aber ich frage mich doch, ob nicht ein Missverständnis vorliegt, wie Sie selbst schon sagten.» Er legte die Fingerspitzen aneinander und betrachtete Hjalmar über seine Hände hinweg. «Die Verlobung und die Hochzeit meiner Nichte sind eine private Angelegenheit, und ich kann mir nicht vorstellen, dass es besonders gut aufgenommen würde, wenn eine an der Regierung beteiligte Persönlichkeit sich hier einmischen würde. Das Mädchen ist mein Mündel, es ist meine Pflicht und mein Recht zu entscheiden, was das Beste für sie ist. Und ihr Verlobter ist ein einflussreicher Adeliger, der schon viel für meine Familie getan hat. Er sollte nicht den Eindruck bekommen, dass ein bindendes Versprechen aufgrund des unbeständigen Charakters eines jungen Mädchens gebrochen wird.»
Sein Ton war so ruhig und sein Blick so fest, dass Hjalmar nicht sicher war, ob Löwenström ihm gerade gedroht hatte.
Die Tür ging auf, und Beatrice trat ins Arbeitszimmer. Es sah aus, als ginge es ihr ganz gut, doch als sie Hjalmar erblickte, wurde sie blass, und ihre Augen weiteten sich.
«Mein liebes Kind, wie schön, dich zu sehen», sagte er laut und herzlich. Er wandte sich an Wilhelm. «Vielleicht könnte ich kurz unter vier Augen mit ihr sprechen?», schlug er in entschuldigendem Ton vor.
Wilhelm warf seiner Nichte einen langen Blick zu, dann verließ er das Zimmer.
«Komm, setz dich», bat Hjalmar, zog ihr einen Stuhl heran und setzte sich dann selbst. Er legte die Hände auf die Knie und begann freundlich: «Was hat dieser Brief denn zu bedeuten?»
«Den habe ich vor ein paar Wochen geschrieben», antwortete sie leise.
«Es tut mir leid, Beatrice, aber was soll ich deiner Meinung nach in dieser Sache unternehmen?»
Schon bevor Beatrice sich setzte, war ihr klar, dass die Sache verloren war. Ein Blick auf Hjalmars schuldbewusstes Gesicht sagte ihr alles, doch sie hörte ihm trotzdem zu, als er erklärte, dass er unmöglich eine unmündige Frau bei sich aufnehmen könne, da das verheerende Folgen für seine politische Karriere haben würde, dass ihr Onkel sicher nur ihr Bestes im Auge hätte, dass sie jung und wankelmütig sei und dass sich bestimmt alles zum Besten entwickeln würde.
«Dein Onkel kann dich natürlich nicht zwingen», fuhr Hjalmar freundlich fort. «Aber es sieht ganz so aus, als wäre die Verlobung mit deiner Zustimmung zustande gekommen, und du
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