Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
beendet.
Nach dem Abendessen schritt man zum unterhaltsamen Teil des Abends. Man stellte Stühle im Halbkreis auf, auf denen die weiblichen Gäste Platz nahmen. Ein paar Männer setzten sich ebenfalls, die anderen mussten sich an die Wände stellen.
Vivienne setzte sich neben Beatrice. «Ich bin froh, dass Sie gekommen sind», sagte sie. «Es wäre schön, wenn wir Gelegenheit hätten, uns besser kennenzulernen. Vielleicht möchten Sie ja einmal zum Teetrinken bei mir vorbeikommen, bevor ich nach Uppsala weiterreise?»
«Gerne», antwortete Beatrice.
«So, nun beginnt das Unterhaltungsprogramm. Ich hoffe, es gefällt Ihnen, die Dame wird etwas aus La Traviata singen. Haben Sie schon von dieser Oper gehört?»
Wie verzaubert lauschte Beatrice der Arie, und ein paar herrliche Augenblicke lang gelang es ihr, das demütigende Gespräch bei Tisch zu verdrängen. Die Opernsängerin erntete donnernden Applaus und versprach, später noch einmal zu singen. Danach trat ein Paar auf, ein Mann und eine Frau, die eine Szene aus einem Theaterstück spielten, von dem Beatrice noch nie gehört hatte. Es begann ganz unschuldig, doch dann wurde es rasch immer gewagter, und Beatrice stimmte in das vergnügte Gelächter der anderen Gäste ein. Anschließend deklamierte jemand ein Gedicht, und schließlich trat die Opernsängerin noch einmal auf.
Nachdenklich beobachtete Vivienne Seth Hammerstaal, der auf der anderen Seite des großen Zimmers stand. Er verfolgte mit ausdrucksloser Miene die Vorstellung, und Vivienne fragte sich, ob er überhaupt aufnahm, was er da sah. Dann warf sie einen verstohlenen Blick auf Beatrice. Die beiden sahen einander nicht an, doch die Luft zwischen ihnen war derart aufgeladen, dass es fast schmerzte. Eigentlich ist das Ganze ein Mysterium, dachte sie. Monsieur Hammerstaal mag ungerührt aussehen, aber er ist bis zum Äußersten angespannt und hat ununterbrochen getrunken. Beim Abendessen hatte sie festgestellt, dass er jedem Wort von Beatrice lauschte, und sie hatte noch nie so viel Sehnsucht in den Augen eines Mannes gesehen.
In der Zeit, die sie ihn jetzt kannte, war er ihr in vielerlei Hinsicht ein Rätsel geblieben. Einerseits war er ebenso höflich und liebenswert wie jeder sorglose Reiche. Andererseits war er ernst und anspruchsvoll und schien sich selbst beständig anzutreiben. In Europa gab es zahllose Männer wie ihn, harte Risikokapitalisten, die sich unbeirrbar durch die starre soziale Hierarchie nach oben kämpften und mit altem Geld und überkommenen Vorstellungen aufräumten. Aber heute brachte ihn etwas sichtlich aus dem Gleichgewicht. Etwas oder jemand. Sie warf noch einen heimlichen Blick auf die blasse Beatrice und schüttelte verwundert den Kopf. Die zwei wollen einander doch, dachte sie. Warum sind sie nicht zusammen?
«Es wird Zeit zu gehen.»
Rosenschöld legte Beatrice eine Hand auf die Schulter und drückte sie leicht.
«Aber es ist doch noch gar nicht zu Ende», murmelte sie. Da drückte er so fest zu, dass sie wusste, sie würde am nächsten Tag einen blauen Fleck an der Schulter haben. «Mach mir jetzt keine Szene, du hast dich für heute schon wieder genug blamiert», zischte er ihr ins Ohr. «Steh auf und komm mit.»
Er verbeugte sich leicht in Viviennes Richtung, die erstaunt zurücknickte.
Schweigend zogen die Verlobten ihre Mäntel an und setzten sich in seinen Wagen.
«Mit dieser Frau wirst du keinen Umgang mehr haben», verkündete er in einem Ton, als würde er mit einem ungezogenen Kind sprechen. «Wenn ich gewusst hätte, was für eine unpassende Unterhaltung uns dort erwartet, hätte ich dich niemals hingehen lassen. Ich werde mit deinem Vormund darüber sprechen. Mit deinem heutigen Betragen war ich sehr unzufrieden. Ich erwarte, dass du über meine Worte nachdenkst: Eine Frau soll die Zierde ihres Mannes sein. Du verstehst sicher, dass das alles nur zu deinem eigenen Besten ist.»
Beatrice antwortete nicht. In der Hand hielt sie den Zettel verborgen, den Vivienne ihr in der Garderobe noch schnell zugesteckt hatte. Die Französin hatte wohl gemerkt, dass sie sich nicht wiedersehen würden, denn auf dem Papier fand sich ein hastig hingeworfener Gruß und das Versprechen, dass sie Beatrice so bald wie möglich schreiben würde.
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20
Im Haus der Familie Löwenström, Stockholm
August 1881
«Guten Tag, Herr Landeshauptmann. Was für ein unerwartetes Vergnügen», sagte Wilhelm, als Hjalmar Hielm ihn einige Tage später
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