Ein Universum aus Nichts
Materie bombardiert würden, sollte der größte Teil davon durch uns und die Erde dringen, ohne auch nur zu »bemerken«, dass wir hier sind – und ohne dass wir es zur Kenntnis nehmen. Wenn wir also die Auswirkungen der sehr seltenen Ausnahmen von dieser Regel registrieren wollen – Teilchen der Dunklen Materie, die tatsächlich von Atomen der Materie abprallen –, sollte man am besten darauf vorbereitet sein, sehr seltene und mit geringer Regelmäßigkeit auftretende Ereignisse aufzuspüren. Nur im Untergrund sind wir so gut gegen kosmische Strahlung abgeschirmt, dass dies überhaupt prinzipiell möglich wird.
Während ich dies niederschreibe, zeigt sich jedoch eine ebenso aufregende Möglichkeit. Der Large Hadron Collider ( LHC ) im schweizerischen Genf hat als weltgrößter und stärkster Teilchenbeschleuniger gerade seinen Betrieb aufgenommen. Wegen der sehr hohen Energien, mit denen dort Protonen aufeinandergeschossen werden, haben wir viele gute Gründe für die Überzeugung, dass dort Bedingungen wie im sehr frühen Universum reproduziert werden, wenn auch nur über mikroskopisch kleine Bereiche. In solchen Bereichen könnten nun genau jene Wechselwirkungen, bei denen im sehr frühen Universum das entstand, was wir heute als Teilchen der Dunklen Materie annehmen, möglicherweise auch im Labor erzeugt werden! Deshalb findet derzeit ein großes Rennen statt. Wer wird die Teilchen der Dunklen Materie zuerst aufspüren, die Experimentatoren tief im Untergrund oder die Physiker am LHC ? Wer auch immer das Rennen gewinnen wird – die gute Nachricht lautet, dass dabei keiner verliert. Wir alle können nur gewinnen, wenn wir erfahren, worum es sich beim ultimativen Stoff der Materie wirklich handelt.
Auch wenn die geschilderten astrophysikalischen Messungen nicht verraten, was Dunkle Materie eigentlich ist, sagen sie uns doch, wie viel es davon gibt. Eine abschließende direkte Bestimmung der gesamten Materiemenge im Universum entstammte den schönen Schlussfolgerungen aus den bereits dargestellten Messungen mit Gravitationslinsen, die mit anderen Beobachtungen der Röntgenemissionen aus Clustern kombiniert wurden. Unabhängige Schätzungen der Gesamtmasse von Clustern sind möglich, weil die Temperatur der die Röntgenstrahlung erzeugenden Gase im Cluster mit der Gesamtmasse des Systems zusammenhängt, in dem sie emittiert werden. Die Ergebnisse waren eine Überraschung und für viele von uns Wissenschaftlern, wie schon angedeutet, eine Enttäuschung. Denn als der Staub sich sowohl buchstäblich als auch metaphorisch gelegt hatte, stellte man fest, dass die Gesamtmasse innerhalb von Galaxien und Clustern samt ihrer Umgebung nur etwa 30 Prozent der Gesamtmasse ausmacht, die heute erforderlich wäre, um zu einem flachen Universum zu gelangen. 15
Einstein hätte sich gewundert, dass seine »kleine Veröffentlichung« letztlich alles andere als nutzlos war. Sein kleiner Schritt in die Welt des gekrümmten Raums hat sich am Ende in einen großen Sprung verwandelt. Denn er wurde ergänzt durch bemerkenswerte neue Werkzeuge für Experimente und Beobachtungen, die neue Fenster in den Kosmos öffneten. Dazu kamen neue theoretische Entwicklungen, die Einstein erstaunt und entzückt hätten, sowie die Entdeckung der Dunklen Materie, die wahrscheinlich seinen Blutdruck in die Höhe getrieben hätte. Anfang der 1990er Jahre schien es, als hätte man den Heiligen Gral der Kosmologie gefunden. Beobachtungen hatten ergeben, dass wir in einem offenen Universum leben, also einem, das sich für immer ausdehnen würde. Aber hatten sie das wirklich?
10 Statt der Interaktionen der Atomkerne, die bei der Bestimmung des Überflusses von Elementen eine Rolle spielen.
11 Heutzutage glauben die meisten Menschen, der Grund für seine Berühmtheit sei die 15 Jahre zuvor formulierte Gleichung E = mc 2 , doch das ist nicht richtig.
12 Womit er indirekt auch Einstein herabsetzte, weil dieser den möglichen Linseneffekt durch Galaxien statt durch Sterne nicht erkannt hatte.
13 Die Bell Laboratories konnten auf eine ebenso noble wie durch Nobelpreise geadelte Tradition großer Wissenschaft zurückblicken – von der Erfindung des Transistors bis zur Entdeckung der Kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung.
14 In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass der Gravitationslinseneffekt ein Ergebnis der lokalen Krümmung des Raums um massive Objekte ist. Ob das Universum flach ist, hängt mit der globalen durchschnittlichen Krümmung
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