Ein unmoralischer Handel
gelöst hatten und dichter an den Bordstein traten, wo man sich besser unterhalten konnte, ließ Alathea sich etwas zurückfallen und bezog dann gut einen halben Meter von ihm entfernt Position, sodass sie beide mit dem Rücken zur Straße standen, auf der sich die Kutschen drängelten. Serena, Mary und Alice standen ihnen gegenüber.
»Wir haben heute Morgen Ihre Mutter und Ihre Schwestern getroffen«, berichtete ihm Serena.
»Im Park«, setzte Mary hinzu. »Wir waren spazieren - es war so lustig!«
»Es waren ein paar verrückte Herren dort«, erzählte Alice, »mit monströsen Krawatten - nicht so wie die Ihre oder die von Lucifer.«
Er antwortete leichthin irgendetwas, um bei der Wahrheit zu bleiben, jedoch ohne groß nachzudenken, was er sagte. Selbst wenn Serena, Mary und Alice ganz oben auf seiner Liste all der Menschen standen, zu denen man freundlich sein musste, so kreisten seine Sinne, wie immer, ständig um Alathea, die nicht einmal einen Meter von ihm entfernt war.
Und diese Sinne prickelten und juckten.
Auch ohne sie kaum eines Blickes zu würdigen, wusste er, dass sie ein lavendelfarbiges Tageskleid trug sowie eine schlichte Haube, die ihr leuchtendes Haar bedeckte. Unter der Haube, da war er sich sicher, würde einer dieser Fetzen von Band hervorlugen, das er so abstoßend fand. Er konnte keine Bemerkung darüber machen, nicht einmal andeutungsweise, nicht, solange Serena vor ihm stand … Andererseits würde Alathea, sobald ihre Blicke sich trafen, genau wissen, was er dachte.
In dieser Absicht blickte er zu ihr hinüber.
Da bäumte sich hinter ihr das Kutschpferd auf und geriet mit den Beinen über die Stränge …
Er packte Alathea, riss sie an sich und schirmte sie instinktiv ab, indem er sich herumwarf. Ein Huf pfiff hinter ihren Köpfen vorbei. Das Pferd wieherte auf, schleifte die Kutsche ein Stück mit und versuchte erneut, sich freizustrampeln - ein emporschießendes Vorderbein traf ihn in den Rücken.
Er stolperte, hielt sich jedoch auf den Beinen.
Die Hölle brach los. Alles schrie. Von überall stürzten Männer herbei, um zu helfen. Andere brüllten Befehle. Eine Dame bekam einen hysterischen Anfall - eine andere fiel in Ohnmacht. Innerhalb von Sekunden waren sie von einer lärmenden Menge umringt, in deren Mittelpunkt der Kutscher des jungen Pferdes stand.
Gabriel stand bewegungslos am Bordstein und hielt Alathea fest in seinen Armen. Ihm schwirrten die Sinne - und seine Gedanken nicht minder. Am Rande bekam er mit, wie Serena, Mary und Alice den Kutscher mit schrillen Stimmen ausschalten - sie waren wütend, aber nicht hysterisch. Alle schauten auf das Durcheinander auf der Straße, ohne auf ihn und Alathea zu achten.
Er versuchte, wieder zu Atem zu kommen, aber es gelang ihm nicht. Er war zutiefst aufgewühlt, nicht zuletzt jedoch auch erleichtert, dass sie unverletzt war. Er war nicht gerade sanft gewesen - er hatte sie an sich gerissen und fest umklammert; sie klebte von den Schultern bis zu den Knien förmlich an seinem Körper. Sie hatte gekeucht, dann noch einmal aufgestöhnt, als der Schlag des Pferdes seinen ganzen Körper erschüttert hatte.
Ihr Blick war starr über seine Schulter gerichtet, doch aus ihrem stoßweisen Atem schloss er, dass sie nichts wahrnahm. Ihr Busen, an seinen Oberkörper gepresst, verströmte einen leichten, blumigen Duft; weiche Locken lugten direkt vor seinem Gesicht unter ihrer Haube hervor.
Er fühlte, wie sie nach Luft rang, ein leichtes Beben lief durch sie hindurch. Sie fasste sich - er konnte fühlen, wie die zarten Muskeln an ihrem Rücken fester wurden -, dann bewegte sie ihren Kopf und schaute ihm ins Gesicht.
Ihre Blicke trafen sich und verweilten - Haselnussbraun ertrank in Haselnussbraun. Ihre Augen waren umwölkt, ein Gefühl nach dem anderen jagte in einer Geschwindigkeit über ihr Gesicht, dass er keines davon identifizieren konnte. Dann plötzlich klärte sich ihr Blick und ein einziges Gefühl kam zum Vorschein.
Er erkannte diesen Ausdruck sofort, selbst wenn es Jahre her war, seit er ihn zuletzt gesehen hatte: Mitgefühl ergoss sich aus ihren Blicken und wärmte ihn - er hatte ganz vergessen, wie das früher immer gewesen war.
»Dir fehlt doch nichts, oder?« Ihre Hände, zwischen ihnen beiden gefangen, krallten sich in seinen Mantel. »Das Pferd hat dich getreten.«
Als er nicht sofort antwortete, versuchte sie, ihn zu rütteln. Ihr Körper rieb sich an seinem. Ihm stockte der Atem. »Es ist alles in Ordnung.« Was
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