Ein Vampir für alle Fälle
als auch die beiden Jungen überlebten die Geburt, was zu jener Zeit nicht selbstverständlich war. Unseren älteren Sohn nannte sie Fintan und den jüngeren Dermot.«
Als der Kellner uns den Wein brachte, brach der Bann plötzlich, in den Nialls Stimme mich gezogen hatte. Im einen Moment saß ich noch im Wald an einem Lagerfeuer und lauschte einer alten Sage, und schon im nächsten - peng! - war ich in einem modernen Restaurant in Shreveport, Louisiana, umgeben von lauter Leuten, die keine Ahnung hatten, was hier vor sich ging. Unwillkürlich griff ich nach meinem Glas und trank erst einmal einen Schluck Wein. Den brauchte ich jetzt.
»Der Halbelf Fintan war dein Großvater väterlicherseits, Sookie«, sagte Niall.
»Nein. Ich weiß, wer mein Großvater war.« Meine Stimme zitterte ein wenig, aber ich sprach immer noch leise. »Mitchell Stackhouse war mein Großvater, und verheiratet war er mit Adele Haie. Corbett Haie Stackhouse war mein Vater, und meine Eltern sind bei einer Überschwemmung ertrunken, als ich noch ein kleines Mädchen war. Danach wurde ich von meiner Großmutter Adele großgezogen.« Ich erinnerte mich natürlich, dass der mir später so verhasste Vampir Andre eine Spur Elfenblut bei mir wahrgenommen hatte, und ich glaubte diesem Mann hier, dass er mein Urgroßvater war. Dennoch ergab sich mir noch immer kein stimmiges Bild meiner Familie.
»Wie war deine Großmutter?«, fragte Niall.
»Sie hat Jason und mich aufgezogen, obwohl sie es gar nicht gemusst hätte«, erzählte ich. »Sie hat uns geliebt und sich bemüht, uns anständig zu erziehen. Wir haben eine Menge von ihr gelernt. Ihre eigenen zwei Kinder hat sie beide begraben müssen, das hat sie beinahe umgebracht. Doch um unseretwillen ist sie stark geblieben.«
»Sie war sehr schön, als sie jung war«, sagte Niall. Der Blick seiner grünen Augen verweilte auf meinem Gesicht, als versuchte er, eine Spur ihrer Schönheit in ihrer Enkelin zu finden.
»Ich glaube schon«, erwiderte ich etwas unsicher. Als Enkelin denkt man nicht in Kategorien wie Schönheit von seiner Großmutter, normalerweise jedenfalls nicht.
»Ich habe sie gesehen, nachdem Fintan sie geschwängert hatte«, sagte Niall. »Sie war allerliebst. Ihr Ehemann hatte ihr gesagt, dass er keine Kinder zeugen könne, weil er im falschen Alter Mumps gehabt habe. Das ist eine Krankheit, nicht wahr?« Ich nickte. »Sie war gerade beim Teppichklopfen hinten auf dem Hof des Hauses, in dem du jetzt wohnst, als eines Tages Fintan auftauchte. Er bat sie um ein Glas Wasser und war auf der Stelle hingerissen von ihr. Sie wünschte sich nichts sehnlicher als Kinder, und er versprach, er könne ihr welche machen.«
»Hast du nicht gesagt, dass Elfen und Menschen nur sehr selten Nachwuchs miteinander haben?«
»Fintan war ja nur ein Halbelf. Und er wusste bereits, dass er eine Frau schwängern kann.« Niall verzog den Mund. »Seine erste große Liebe starb bei der Geburt des Kindes, aber deine Großmutter und ihr Sohn hatten mehr Glück. Und zwei Jahre später hat sie von Fintan auch noch eine Tochter bekommen.«
»Er hat sie vergewaltigt«, warf ich ein und hoffte fast, es möge wahr sein. Meine Großmutter war die anständigste Frau, die ich je kennengelernt hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie einfach so ihren Ehemann betrogen haben sollte, zumal sie vor Gott geschworen hatte, meinem Großvater treu zu sein.
»Nein, hat er nicht. Sie wünschte sich eben Kinder, es ging ihr nicht darum, ihren Ehemann zu betrügen. Fintan waren die Gefühle anderer egal, er wollte nur unbedingt diese Frau haben«, sagte Niall. »Aber Gewalt hat er nie angewendet. Er hätte sie niemals vergewaltigt. Mein Sohn konnte eine Frau einfach zu allem überreden, sogar zu einer Sache, die gegen ihre moralischen Prinzipien verstieß ... Und er war nicht minder schön als sie.«
Ich versuchte, in der Großmutter, die ich kannte, die Frau zu sehen, die sie gewesen sein musste. Aber es wollte mir nicht gelingen.
»Wie war dein Vater, mein Enkel?«, fragte Niall.
»Sehr gut aussehend«, sagte ich. »Er war ein hart arbeitender Mann und ein guter Vater.«
Niall lächelte leicht. »Was hat deine Mutter für ihn empfunden?«
Diese Frage traf einen wunden Punkt in meinen sonst so herzlichen Erinnerungen. »Sie war ihm ... äh, absolut ergeben.« Vielleicht sogar so absolut, dass ihre Kinder zu kurz kamen.
»War sie wie besessen von ihm?« In Nialls Stimme lag kein Vorwurf, sondern Gewissheit, so als
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