Ein Vampir für alle Fälle
einsame Wolf zu sein, als der er sich gab.
Alcide und Furnan traten aus ihren Gruppen hervor.
Für die Unterredung, Verhandlung oder wie immer man es auch nennen wollte, war eine bestimmte Form vereinbart worden: Ich sollte mich zwischen Furnan und Alcide stellen, und jeder der beiden Werwolfanführer würde mir eine Hand reichen. So konnte ich als Lügendetektor fungieren, während die beiden miteinander sprachen. Ich hatte geschworen, es jedem der beiden zu sagen, wenn der andere log, zumindest meinem besten telepathischen Wissen nach. Ich kann Gedanken lesen, doch auch Gedanken sind manchmal trügerisch, verzwickt oder einfach nur dumm. Etwas wie dies hatte ich noch nie gemacht. Ich hoffte inständig, dass meine Fähigkeiten heute Nacht besonders präzise waren und ich sie klug einsetzen würde, damit dem Morden mit meiner Hilfe endlich ein Ende bereitet werden konnte.
Alcide trat steif auf mich zu, sein Gesicht wirkte hart im grellen Schein der Industrieparkbeleuchtung. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass er schmaler und älter wirkte. In seinem schwarzen Haar zeigten sich erste graue Strähnen, die er nicht gehabt hatte, als sein Vater noch lebte. Patrick Furnan sah auch nicht allzu gut aus. Er hatte immer zur Fettleibigkeit geneigt, und es schien, als hätte er inzwischen fünfzehn, ja zwanzig Pfund zugenommen. Der Posten des Leitwolfs war ihm nicht bekommen. Und das Entsetzen über die Entführung seiner Ehefrau hatte deutliche Spuren in seinem Gesicht hinterlassen.
Und so tat ich etwas, das ich nie für möglich gehalten hätte: Ich reichte Furnan meine rechte Hand. Er ergriff sie, und sofort durchströmte mich die Flut seiner Gedanken. Sein verwickeltes Werwolfhirn war nicht schwer zu entziffern, da er sich stark konzentrierte. Ich streckte Alcide meine Linke hin, und auch er nahm sie. Einen Augenblick lang fühlte ich mich wie überschwemmt. Dann gelang es mir, mit einer enormen Anstrengung die Flut der Gedanken in einen Strom zu lenken, so dass ich nicht darin unterging. Es war einfach, Lügen laut auszusprechen, aber nicht so einfach, in Gedanken zu lügen.
Oder zumindest nicht, diese Lügen auf Dauer aufrechtzuerhalten. Ich schloss die Augen. Eine Münze wurde geworfen, und Alcide war als Erster mit Fragen dran.
»Warum haben Sie meine Freundin ermorden lassen, Patrick?« Alcides Worte klangen schneidend scharf. »Sie war eine vollblütige Werwölfin und so sanft, wie eine Werwölfin nur sein kann.«
»Ich habe nie einem meiner Leute befohlen, jemanden aus Ihren Reihen zu ermorden«, sagte Patrick Furnan mit so müder Stimme, als könne er sich kaum noch auf den Beinen halten. Seine Gedankenströme flössen ähnlich dahin: langsam, träge, auf breit ausgetretenen Bahnen seines Hirns. Seine Gedanken konnte ich besser lesen als Alcides, und er meinte, was er sagte.
Alcide hörte mit großer Aufmerksamkeit zu. »Haben Sie irgendwem, der nicht dem Rudel angehört, befohlen, Maria-Star, Sookie und Mrs Larrabee zu ermorden?«, fuhr Alcide fort.
»Ich habe nie irgendwem befohlen, jemanden aus Ihren Reihen zu ermorden«, bekräftigte Furnan.
»Er spricht aus, was er denkt«, sagte ich.
Leider konnte Furnan nicht den Mund halten. »Ich hasse Sie«, fuhr er fort, obwohl er immer noch so erschöpft klang wie vorher. »Ich wäre froh, wenn Sie vom Laster überfahren würden. Aber ich habe niemanden getötet.«
»Auch jetzt spricht er aus, was er denkt«, sagte ich, vielleicht ein wenig zu trocken.
»Wie können Sie Ihre Unschuld beteuern«, fragte Alcide, »wenn Cal Myers dort unter Ihren Leuten steht? Er hat Maria-Star erstochen.«
Furnan war verwirrt. »Cal war nicht dort.«
»Er spricht aus, was er denkt«, sagte ich zu Alcide. Dann wandte ich mich an Furnan. »Cal war dort, und er hat Maria-Star ermordet.« Obwohl ich nicht wagte, in meiner Konzentration nachzulassen, hörte ich das beginnende Wispern um Cal Myers herum und sah die ersten Furnan-Werwölfe einen Schritt von ihm wegtreten.
Jetzt war Furnan dran, Fragen zu stellen.
»Meine Frau ...«, begann er, doch ihm brach die Stimme. »Warum sie?«
»Ich habe Libby nicht«, erwiderte Alcide. »Ich würde nie eine Frau entführen, und schon gar keine Werwölfin, die Kinder hat. Und ich würde auch nie jemandem befehlen, so etwas zu tun.«
Diese Worte entsprachen seinen Gedanken. »Alcide hat es nicht getan«, sagte ich, »und er hat auch keinen solchen Befehl erteilt.« Doch Alcide hasste Patrick Furnan wie die Pest. Furnan hätte Jackson
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