Ein Vampir für alle Fälle
versuchte, mich zu beißen. Doch sie kam nicht richtig an mich heran, denn ich klammerte mich immer noch an ihren Rumpf. Einmal konnte sie sich so weit herumdrehen, dass ihre Reißzähne an meinem Bein entlangschrammten, zu fassen bekam sie es jedoch nicht. Die Schmerzen spürte ich kaum. Ich verstärkte meinen Griff noch einmal, obwohl mir die Arme inzwischen höllisch wehtaten. Wenn ich auch nur ein winziges bisschen nachließ, würde ich Amandas Schicksal teilen.
Das alles geschah so unwahrscheinlich rasant, dass es kaum zu glauben war, und doch fühlte ich mich, als würde ich schon seit einer Ewigkeit versuchen, diese Werwölfin zu töten. Mir schoss nicht ständig »Stirb, stirb« durch den Kopf. Ich wollte bloß, dass sie aufhörte mit dem, was sie da tat . Aber das wollte sie partout nicht tun, verdammt. Und wieder dröhnte ein ohrenbetäubendes Gebrüll durch die Nacht. Riesige Zähne blitzten nur einen Zentimeter von meinen Armen entfernt auf. Okay, okay, schon verstanden. Ich sollte loslassen. Und noch im selben Augenblick, als ich die Arme löste, kippte ich von der Werwölfin herunter, schlug hart auf den Boden auf und rollte einige Meter weit bis zu etwas, das wie ein Fellhaufen aussah.
Und dann machte es pop! , und Claudine stand über mir, in ärmellosem Shirt, gestreiften Pyjamahosen und mit völlig verwuscheltem Haar. Durch ihre gegrätschten Beine hindurch sah ich den Löwen der Werwölfin den Kopf abbeißen und ihn angewidert wieder ausspucken, er war wohl edlere Speisen gewöhnt. Dann drehte er sich um, verschaffte sich einen Überblick und fasste den nächsten Gegner ins Auge.
Einer der Werwölfe griff Claudine an, und jetzt bewies sie, dass sie vollkommen wach war. Das Tier war noch im Sprung, da hatte sie es auch schon bei den Ohren gepackt und mit seinem eigenen Schwung von sich weggeschleudert. Claudine warf den großen Wolf mit derselben Leichtigkeit von sich wie ein Rowdy eine Bierdose, und der Wolf donnerte mit einem Knall an die Verladerampe, der ziemlich endgültig klang. Unglaublich, in welchem Tempo dieser Angriff erfolgte und abgewehrt wurde.
Claudine stand noch immer mit gegrätschten Beinen über mir, und ich blieb liegen, wo ich gelandet war. Ich war total erschöpft, verängstigt und voller Blut, auch wenn nur die roten Spritzer an einem meiner Beine von einer eigenen Verletzung herrührten. Kämpfe waren stets im Nu vorüber, verbrauchten aber in dieser kurzen Zeit fast die gesamten Kraftreserven des Körpers. Bei den Menschen jedenfalls. Claudine dagegen wirkte noch ziemlich munter.
»Na los, du haariger Feigling!«, rief sie und winkte mit beiden Händen einen Werwolf heran, der sich von hinten an sie heranzuschleichen versuchte. Sie hatte sich umgedreht, ohne die Beine zu bewegen, ein Manöver, das einem normalen menschlichen Körper gar nicht möglich ist. Der Werwolf sprang auf sie los und bekam genau denselben Freiflug wie sein Rudelkollege. Soweit ich es beurteilen konnte, atmete Claudine nicht mal schwerer. Nur ihre Augen war größer und aufmerksamer als üblich, und sie stand leicht vornübergebeugt da, jederzeit bereit zur nächsten Aktion.
Es war ein solches Gebrüll und Gebell und Geheul um mich herum, dazu all die Schmerzensschreie und herzzerreißenden Laute - ich wollte gar nicht genau wissen, was da im Einzelnen vor sich ging. Zum Glück wurde der Lärm nach weiteren fünf Minuten Kampfgetöse endlich schwächer.
Claudine hatte mich in all der Zeit nicht eines Blickes gewürdigt, aber sie wachte ja auch über mich. Als sie mich schließlich ansah, zuckte sie zusammen. Oje, ich sah wohl ziemlich schlimm aus.
»Ich war spät dran«, sagte sie und stieg mit einem Bein über mich hinweg, so dass sie neben mir stand. Dann reichte sie mir die Hand, und kaum hatte ich sie ergriffen, stand auch ich schon auf den Beinen. Ich umarmte sie, und das nicht nur, weil ich es wollte, sondern weil ich es einfach tun musste. Claudine roch immer so wundervoll, und ihre Haut fühlte sich irgendwie fester an als die von Menschen. Auch sie schien sich zu freuen, mich zu sehen, und so hielten wir uns eine ganze Weile umarmt, bis ich mein inneres Gleichgewicht wiedergefunden hatte.
Schließlich sah ich mich um, auch wenn ich mich vor dem, was ich zu sehen bekommen würde, fürchtete. Die Gefallenen lagen wie Fellhaufen um uns herum. Die dunklen Flecken auf dem Boden waren ganz sicher keine Ölflecken. Hier und dort schnüffelte ein blutverkrusteter Werwolf an den Leichen, als
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