Ein Vampir fuer alle Sinne
ihre Schwägerin dankbar an. Sie mochte Jo, und sie war froh, dass sie und Nicholas sich gefunden hatten. Als hätten ihre Gedanken ihn herzitiert, betrat Nicholas gleich hinter Eshe die Küche. »Livy?«, sagte Jeanne Louise, als ihr auffiel, dass die beiden doch eigentlich das Mädchen beaufsichtigen sollten.
»Paul ist bei ihr«, entgegnete Eshe. »Ich habe ihm gezeigt, wie er notfalls den Beutel austauschen muss.«
»Du hast es freiwillig gemacht, nachdem dir klar war, dass er dein Lebensgefährte ist, Jeanne Louise, davor aber nicht«, betonte ihr Vater und lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf das leidige Thema. Dann fügte er betrübt hinzu: »Schatz, ob du einverstanden warst oder nicht, ändert nichts an der Tatsache, dass er eine Unsterbliche gekidnappt hat, damit sie seine Tochter wandelt.«
»Sie war todkrank«, konterte Jeanne Louise frustriert. »Was würdest du machen, um mich oder Nicholas oder Thomas zu retten?« Einen Moment lang herrschte betretenes Schweigen, dann legte sie nach: »Außerdem hat er mich nur entführt, weil Marguerite ihm gesagt hat, er solle auf sein Herz hören.«
»Was?«, rief Etienne verblüfft, als der Name seiner Mutter fiel.
Jeanne Louise nickte nachdrücklich. »Paul wollte eine Kollegin dazu überreden, an die er leichter hätte herankommen können, aber Marguerite sagte ihm, er solle auf sein Herz hören. Also hat er mich entführt.«
»Du warst die, nach der sein Herz verlangt hat«, warf Eshe ein, während ihr Blick auf Jeanne Louises Stirn gerichtet war.
Ihr war klar, dass soeben ihre Gedanken gelesen wurden, doch mit einem Seufzer ließ sie es geschehen. Wenn andere sahen, was sich abgespielt hatte, konnte das nur von Vorteil für sie sein. Jedenfalls hoffte sie das.
Ihr Blick schweifte von einem zum anderen, und sie musste feststellen, dass ausnahmslos jeder in diesem Moment ihre Gedanken las. Dabei fiel ihr ein, dass einige ihrer Erinnerungen sehr persönlich und alles andere als jugendfrei waren und zu den Dingen gehörten, die ihr Vater und ihr Bruder nun wirklich nicht sehen mussten. Abrupt stand sie auf und erklärte: »Ich liebe ihn. Er ist mein Lebensgefährte. Ich wollte ihn wandeln, und im Gegenzug sollte er Livy wandeln, damit wir eine Familie sein konnten. Jetzt kann ich ihn nicht mehr wandeln, aber wenn Onkel Lucian Paul auch nur ein Haar krümmen will, werde ich ihn davon abhalten, und wenn es meinen Tod bedeutet. Wenn ihr mich wirklich liebt, schlage ich vor, dass ihr euch etwas überlegt, wie ihr ihn davon überzeugen könnt, Paul in Ruhe zu lassen.« Sie nahm zwei Sandwiches und zwei Getränke. »Wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet, aber ich möchte Paul und Livy Gesellschaft leisten.«
Sie machte sich auf den Weg zur Treppe, musste aber stehen bleiben und Justin Bricker und Anders vorbeilassen, die soeben die oberste Stufe erreicht hatten.
»Jeanne Louise«, sagte Bricker und fasste sie am Arm. »Es tut mir wirklich leid. Ich wünschte, ich könnte …« Seufzend ließ er sie los. »Ich werde tun, was ich kann, um dir zu helfen.«
Sie nickte und ging die Treppe runter. Sie wusste, er hatte ein schlechtes Gewissen, und mit ihrem Schweigen half sie ihm auch nicht weiter. Außerdem wollte sie Bricker gar nicht die Schuld an dem geben, was passiert war. Dass er das alles nicht gewollt hatte, war ihr mehr als klar. Aber auch wenn ihr Verstand das Ganze nachvollziehen konnte, wollte ihr Herz dem Frust und Zorn freien Lauf lassen. Doch sie fürchtete, dass genau dieser Frust und Zorn den Vollstrecker traf, sobald sie den Mund aufmachte. Vielleicht nach einer Weile …
Jeanne Louise schüttelte den Kopf. Sie hatte erhebliche Zweifel daran, dass nur etwas Zeit vergehen musste, um ihre Gefühle wieder in den Griff zu bekommen. Sie war sich nicht mal sicher, ob sie sie überhaupt je wieder in den Griff bekommen würde.
Seufzend ging Jeanne Louise von der Treppe zum Schlafzimmer, in dem Paul auf Livy aufpasste … oder zumindest hätte aufpassen sollen. Denn als sie die Tür öffnete und mit einem leicht gezwungenen Lächeln das Zimmer betrat … da war der Raum leer.
14
Paul rannte um das Cottage herum, sein Herz raste wie verrückt. Kaum hatten Eshe und Nicholas das Schlafzimmer verlassen, war ihm aufgefallen, dass er dringend die Toilette aufsuchen musste. Er hielt das für kein großes Problem, immerhin war das Badezimmer gleich nebenan, und was sollte schon passieren, wenn er Livy für ein oder zwei Minuten aus den Augen ließ? Sie
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