Ein Vampir für gewisse Stunden: Argeneau Vampir 6
Entdeckung vergaß sie für einen Augenblick alle ihre Fragen. Sie zog sich aus und stellte sich wieder vor den Spiegel, um sich in aller Ruhe zu mustern. Sie drehte sich nach links und rechts, dann stand sie wieder mit dem Gesicht zum Spiegel und beugte sich vor, weil sie einen genaueren Blick auf ihren Hals werfen wollte. Sie war sich völlig sicher gewesen, dass Morgan sie gebissen hatte, doch davon war beim besten Willen nichts zu sehen. Zuerst dachte sie noch, die Stelle sei unter dem getrockneten Blut an ihrem Hals verborgen, aber als sie das mit einem Waschlappen wegwischte, kam darunter nur makellose Haut zum Vorschein.
Und doch war nicht nur der Hals, sondern auch ihre Brust und die Bluse mit ihrem Blut verschmiert gewesen. Woher hätte das sonst kommen sollen?
Wieder studierte sie ihren Körper, musterte ihre Hände, suchte an den Beinen nach den winzigen Schnitten von der Rasur und nach der Verbrennung, die sie sich erst vor wenigen Tagen im Restaurant zugezogen hatte. Nichts davon war zu finden, stattdessen sah sie nur perfekte Haut. Selbst die Cellulitis an den Hüften und den Oberschenkeln hatte sich offenbar in Luft aufgelöst. Auch ihre ganze Figur wirkte anders als zuvor. Nichts Gravierendes, aber Hüften und Taille waren etwas schmaler. Zu schade, dass das nicht auch für ihre Brüste galt. Allerdings trotzten die auf einmal wieder so erfolgreich der Schwerkraft, wie sie es auch vor ihrem dreißigsten Geburtstag getan hatten.
Insgeheim hoffte sie, dass sie vielleicht mit der Zeit doch noch ein wenig schrumpften. Beim Blick in den Spiegel musste sie aber auch feststellen, dass sie unverändert klein war. Vermutlich war es zu optimistisch gewesen, dass sie erwartet hatte, als Vampirin auch gleich ein paar Zentimeter in die Höhe zu schießen. Ihr Lächeln schwand, als sie sich der Bedeutung des Wortes Vampirin bewusst wurde.
Sie beugte sich vor und machte den Mund auf, um sich ihre Zähne genauer anzusehen. Zwar erschienen die ihr nicht anders als sonst, dennoch hatte sie mit ihnen zwei Löcher in die Blutbeutel beißen können. Ihr fiel ein, wie Lucian ihr die blutige Bluse unter die Nase gehalten und wie sich daraufhin eine Veränderung in ihrem Mund bemerkbar gemacht hatte. Sie hob die Bluse vom Boden auf und drückte sie gegen ihre Nase. In dem Moment, als sie inhalierte, spürte sie ein Ziehen in ihrem Oberkiefer. Sofort ließ sie die Bluse fallen, betrachtete im Spiegel wieder ihren Mund und sah zwei spitze Beißzähne zum Vorschein kommen.
„Wow”, hauchte sie, während sie ein Kribbeln in der Magengegend verspürte. Vorsichtig drückte sie gegen die Zähne, um herauszufinden, ob die sich mit den Fingern wieder in den Kiefer zurückschieben ließen, aber sie rührten sich nicht. „Hm.” Sie legte den Kopf in den Nacken, weil sie die Löcher in den Zähnen sehen wollte, durch die sie das Blut eingesogen hatte, doch sie konnte nichts erkennen. „Hm”, machte sie wieder und stand da, während sie rätselte, wie sie die Zähne wieder einfahren konnte. Beim Anblick dieser Reißzähne wurde ihr klar, dass die nicht ihr einziges Problem waren. Da war zum Beispiel das Tageslicht.
Ab sofort würde sie Sonnenschein meiden müssen. Die letzten sechs Jahre hatte sie nur abends und nachts gearbeitet, sodass es ihr eigentlich nichts hätte ausmachen sollen, doch das war nicht so. Immerhin hatte sie freiwillig die Nachtschicht übernommen. Aber wie es schien, blieb ihr jetzt keine andere Wahl mehr. Vampire konnten nicht tagsüber draußen unterwegs sein, weil sie dann unweigerlich in Flammen aufgingen. Sie hatte das oft genug in Filmen gesehen.
Und das war noch längst nicht alles. Sie musste einen Bogen um Kirchen und Kruzifixe machen, denn sie war jetzt verflucht und seelenlos. Nicht dass ihr das viel ausgemacht hätte. Zwar glaubte Leigh an Gott, doch es kam ihr oft so vor, als habe Gott sie vergessen. Er hatte ihr ihre Eltern genommen, Gott, doch es kam ihr oft so vor, als habe Gott sie vergessen. Er hatte ihr ihre Eltern genommen, ihren Großvater.... und dann war da auch noch Kenny. Aber vermutlich konnte sie ihm nicht die Schuld daran geben, dass sie Kenny geheiratet hatte.
Leigh musterte sich weiter im Spiegel und versuchte, einen Hinweis auf ihre Seelenlosigkeit zu finden. Sie fühlte sich nicht anders als zuvor, und da war auch kein Drang zu spüren, dem nächstbesten ahnungslosen Menschen die Kehle zu zerfetzen. Vielleicht besaß sie ihre Seele ja noch.
Vielleicht verlor man die ja
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