Ein Vampir für jede Jahreszeit
Jonathan. Ich habe mich so angestrengt, um für dich die Erlaubnis zu erringen, dieses Fest abzuhalten – du weißt, dass wir dem König dafür zu großem Dank verpflichtet sind –, ich habe mich darum gekümmert, dass du diesen Saal nutzen darfst, für Essen und Getränke gesorgt und alle eingeladen, und das Einzige, was ich dafür von dir zu hören bekomme, ist …«
»Oh, ich bin sicher, dass Euer Sohn Eure Bemühungen zu schätzen weiß, Mylady«, kam Alice dem Ritter, der nun sehr schuldbewusst aussah, zur Hilfe. »Ich glaube, er wollte eigentlich sagen, dass er ein wenig überfordert ist. Es ist schon viel verlangt, dass er so viele Frauen gleichzeitig bei Laune halten soll. Möglicherweise wäre es besser gewesen, wenn Ihr noch einige weitere Männer als Beistand für dieses Unterfangen geladen hättet.«
»Ganz genau«, pflichtete Jonathan ihr bei. »Endlich eine Frau mit ein bisschen Vernunft.«
»Möchtest du damit andeuten, ich wäre unvernünftig?«, fragte Lady Fairley eisig. Der Ritter machte ein entsetztes Gesicht und Alice hätte beinahe schon wieder laut los gelacht.
»Aber nein, Mutter, nein«, beeilte er sich zu versichern, »selbstverständlich nicht. Ich würde nie wagen …«
Als Lady Fairley Luft holte, um zu einer, wie Alice vermutete, deftigen Strafpredigt anzusetzen, konnte sie sich nicht zurückzuhalten und griff erneut ein. »Ganz bestimmt wollte er Euch nicht beleidigen, Mylady. Er ist offenkundig von den Verpflichtungen des heutigen Abends erschöpft und kann nicht mehr klar denken. Vielleicht wäre es das Beste, wenn wir einen kurzen Spaziergang machen würden. Die kühle Nachtluft wird ihm sicher dabei helfen, seine Gedanken wieder zu ordnen.«
»Oh ja.« Jonathan packte die Möglichkeit zur Flucht sofort beim Schopf. Anstatt sich jedoch, wie Alice es eigentlich erwartet hätte, so schnell wie möglich aus dem Staub zu machen, griff er nach ihrer Hand und zog sie mit sich fort. »Ein kleiner Rundgang durch die Gärten wird sicher belebend wirken.«
»Oh, aber ich meinte nicht …«, protestierte Alice, doch er zerrte sie aus dem großen Saal.
»Kommt mit. Eure Gegenwart wird die anderen Weibsbilder davon abhalten, mich zu belästigen«, beharrte er und schleppte sie hinter sich her.
Alice zog zwar hinter seinem Rücken eine Grimasse, doch es war sinnlos, sich gegen ihn zu wehren. Zudem war es ihr sogar ganz lieb, die Festivität verlassen zu können. Es war fürchterlich langweilig gewesen, am Rande der Tanzfläche zu stehen und Jonathan dabei zu beobachten, wie er mit einer Vielzahl an Damen tanzte. Die ganze Zeit über hatte sie daran denken müssen, wie sie sich nach dem Picknick auf dem Ritt zurück an seinen Körper geschmiegt und seinen Duft gerochen hatte.
Alice seufzte, als diese Erinnerungen wieder einmal aufstiegen. Das war in den vergangenen beiden Tagen unangenehmerweise häufiger vorgekommen, obwohl sie nicht ganz verstand, weshalb. Noch nie zuvor hatte sie etwas Vergleichbares verspürt, noch nie hatten sie die Erinnerungen an ein einzelnes Erlebnis so geplagt. Doch es ließ sich nicht verleugnen, dass sie sich in den letzten Tagen in Gedanken ständig mit Jonathan und der gemeinsam verbrachten Zeit beschäftigt hatte.
»Gott sei Dank.«
Alice wurde aus ihren Grübeleien gerissen. Sie standen inzwischen im Freien. Alice atmete tief die Nachtluft ein und spürte, wie sie sich ein wenig entspannte. Erst jetzt bemerkte sie, wie steif und angespannt sie schon den ganzen Abend gewesen war. Jonathan dabei zuzusehen, wie er mit all den Damen übers Parkett wirbelte, hatte ihr keine Freude bereitet. Im Stillen hatte sie sogar mit der schrecklichen Ungerechtigkeit gehadert, dass er sie nicht zum Tanzen aufgefordert hatte, nicht ein einziges Mal .
Selbstverständlich nur, weil sie gerne herausgefunden hätte, wie sich ein Tanz mit ihm im Vergleich zu dem gemeinsamen Ritt anfühlte, redete sie sich hastig ein, obwohl sie genau wusste, dass es nicht stimmte. Insgeheim war sie unglücklich darüber, dass sie nicht als mögliche Braut für Jonathan angesehen wurde. Warum nur? Außerdem verstand sie nicht, weshalb seine Mutter sie nur zu mögen schien, wenn Jonathan nicht in der Nähe war, sie jedoch frostig behandelte, sobald er auftauchte.
»Passt auf, wo Ihr hintretet«, riss Jonathan sie aus ihren Gedanken.
Alice konzentrierte sich wieder auf ihre Umgebung und schaffte es gerade noch, einer dunklen, widerwärtig aussehenden Masse am Boden auszuweichen.
»Wo gehen
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