Ein Vampir für jede Jahreszeit
Er ließ das Pferd zwar traben, jedoch nicht sehr schnell. Auf dem Weg von der Burg hierher waren sie um einiges schneller geritten. Vor Verblüffung lockerte sie unbewusst den Griff um seine Taille und beugte sich nach hinten. Er fing sie auf.
»Haltet Euch lieber gut fest«, riet er. »Ich möchte nicht, dass Ihr vom Pferd fallt.«
Alice bemerkte, dass seine Stimme belegt klang, dachte jedoch nicht weiter darüber nach. Sie beschloss, den Ritt einfach zu genießen und lehnte sich entspannt an seinen Rücken.
3
Jonathan schaffte es, wenn auch nur mit Mühe und Not, weiter zu lächeln, obwohl ihm seine Tanzpartnerin einmal mehr auf den Zehen herumtrampelte. Er konnte mit voller Aufrichtigkeit behaupten, dass sogar die Belagerung von Calais, bei der er sich eine unfassbar schmerzhafte Bauchwunde zugezogen hatte, an der er beinahe gestorben wäre, angenehmer gewesen war, als diese Hölle, in die seine Mutter ihn geschickt hatte.
Das Brautfest. So nannte sie es. Sie hatte es mit Zustimmung des Königs arrangiert, und er musste es nun durchleiden. Schon der Name behagte ihm nicht. Wäre Bräutigamsfest nicht passender gewesen? Schließlich war es sein Fest. Er war der angehende Bräutigam. Aber nein. Seine Mutter pochte darauf, dass es bei der Festivität darum ginge, eine Braut für ihn zu finden und Brautfest darum durchaus passend sei.
Jonathan verzog angewidert das Gesicht. Die Bezeichnung war schon absurd, die Veranstaltung selbst aber noch weitaus schlimmer. Seine Mutter hatte es tatsächlich geschafft, die Erlaubnis zu erhalten, die große Halle im königlichen Palast zu nutzen. Sogar der König und die Königin waren zugegen.
Verstimmt beobachtete Jonathan den finster dreinblickenden Monarchen und dessen Gattin. Unablässig schickte Edward strenge, missgünstige Blicke durch den Raum, von denen die meisten Jonathan trafen. Wahrscheinlich wollte Seine Majestät, der König, damit unterstreichen, wie ernst es ihm mit seiner Anweisung war und dass er ihr unbedingt Folge zu leisten hätte. Jonathan verstand.
Seine Zehe bekam einen weiteren Tritt ab und er konzentrierte sich wieder auf seine Tanzpartnerin. Dabei seufzte er in sich hinein. Die Dame war kurzsichtig und stolze vierunddreißig Jahre alt. Jonathan selbst war zwar auch schon dreißig, daher konnte man sie nicht gerade als uralt bezeichnen, doch das ideale Alter, um Kinder zu gebären, hatte sie bereits hinter sich gelassen. Sie hätte beim Picknick von der Liste gestrichen werden sollen, aber leider war es nun mal so, dass überhaupt niemand ausgesondert worden war. Seine Mutter hatte die Liste unangetastet gelassen, und alle aufgelisteten Hofdamen waren heute Abend zu Gast.
Jonathan ließ den Blick schweifen und musste wieder an Alice und den Ritt zurück zum Schloss vor zwei Tagen denken. Instinktiv blickte er zu der jungen Frau hin, die bei ihrer Mutter, ihrem Onkel und seiner eigenen Mutter in der Nähe des Königs und der Königin stand.
Es verwunderte Jonathan selbst, wie oft er seit jenem Tag an das Mädchen denken musste. Das waren ganz spezielle Gedanken. Immer wieder erinnerte er sich an ihre sinnliche Stimme, und wie sie die kühle, süße Erdbeere an seine Lippen gedrückt hatte. Noch immer konnte er ihren erotischen, betörenden Duft riechen. Und er sah ihre appetitlichen Brüste vor sich, die sich vor seinen Augen erhoben und ihn für alles andere blind gemacht hatten. Dann waren da auch noch die sinnlichen Erinnerungen an die Rückkehr zur Burg, die ihn nicht losließen. Wenn er sich konzentrierte, konnte er beinahe wieder ihre Arme spüren, die sich um seinen Körper schlangen und ihre Brüste, die sich an seinen Rücken schmiegten.
Ja, es ließ sich nicht verleugnen, dass er den gemeinsamen Ritt mit ihr als ungemein erregend empfunden hatte. Sein Körper hatte auf dieses Mädchen reagiert, wie auf kein anderes weibliches Wesen zuvor, ein Umstand, der ihn, als sie schließlich wieder die Ställe erreicht hatten, beschämt und in große Verwirrung gestürzt hatte. Er war Alices Blick ausgewichen, aus Angst, sie könnte möglicherweise die unreinen Gedanken, die in seinem Kopf umherwirbelten, erahnen. Seit jenem Tag hatte er alles daran gesetzt, ihr aus dem Weg zu gehen.
Ärgerlicherweise war das nicht schwer gewesen. Das Mädchen hatte ihn ebenfalls gemieden.
Seine Zehen wurden wieder gequetscht und Jonathan konzentrierte sich auf den Tanz. Glücklicherweise beendeten die Musiker das Stück und bewahrten so seine Tanzpartnerin
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