Ein Vampir für jede Jahreszeit
aufgehört, ihr Fragen zu stellen.«
Mirabeau wollte sich schon erkundigen, weshalb sie sich denn nicht an jemand anderen gewandt hätte, doch dann fiel ihr auf, dass die einzige andere weibliche Bezugsperson im Haus der Vollstrecker, die ebenfalls erst vor Kurzem gewandelt worden war und einen Lebensgefährten gefunden hatte, Sam war. Wenn sie Erkundigungen für Stephanie einholte, würde höchstwahrscheinlich auch bei ihr › etwas dazwischen kommen ‹ . Wahrscheinlich hatte Stephanie nun dank Mirabeau zum ersten Mal die Chance, einer Unsterblichen ohne Gefährten in Ruhe Fragen zu stellen.
»In Ordnung.« Mirabeau setzte sich wieder aufs Bett, in der festen Absicht, der Kleinen, soweit es ihr möglich wäre, alle Fragen zu beantworten. »Solange du dich regelmäßig ernährst, wirst du auch weiterwachsen, bis du etwa zwischen fünfundzwanzig und dreißig Jahre alt bist, also quasi deine besten Jahre als Erwachsene erreicht hast. Dann wirst du aufhören zu altern und für immer so bleiben.«
Stephanie dachte über Mirabeaus Worte nach. »Wie oft ist regelmäßig ?«
Mirabeau zögerte kurz und antwortete dann: »Am besten ist es, in kleinen Portionen zu essen. Bis zum fünfundzwanzigsten Lebensjahr solltest du etwa alle drei Stunden etwas zu dir nehmen.«
»Wie ein Baby«, kommentierte sie angewidert.
»Im Grunde schon«, bestätigte Mirabeau amüsiert. Sie bemerkte, wie blass die Kleine aussah, und erkundigte sich: »Wann hast du zum letzten Mal etwas gegessen?«
Stephanie verzog das Gesicht und gestand widerwillig: »Bevor wir zur Hochzeit aufgebrochen sind.«
Mirabeau warf einen Blick auf die Uhr. Es war fast zwei Uhr in der Früh – höchste Zeit also, dass das Mädchen wieder etwas zu sich nahm.
»Lucian hat gesagt, im Wagen liege Blut bereit«, bemerkte Stephanie. »Wir können etwas essen, bevor wir aufbrechen.«
Mirabeau erwiderte nichts. Lucian hatte ihr dieselbe Information gegeben, kurz bevor sie die Kirche durch die geheime Falltür verlassen hatte. Es wäre der einfachste Weg, an Blut zu kommen, denn schließlich standen Stephanie keine Fangzähne zur Verfügung. Am besten wäre es, wenn sie aufbrachen, sobald Tiny zu Ende geduscht hatte, dann den Wagen suchten, dort etwas aßen und anschließend die Stadt verließen. Das wäre auch der sicherste Weg.
»Nein«, begehrte Stephanie, die ihre Gedanken gelesen hatte, sofort auf. »Du hast versprochen, wir könnten ein wenig schlafen. Mein Essen kann doch bestimmt auch noch ein paar Stunden warten, oder? Dann verspeise ich im Auto auch die doppelte Dosis.«
Aus Stephanies flehendem Tonfall und der Verwendung des Wortes Dosis schloss Mirabeau, dass das Mädchen offenbar nur ungern Blut zu sich nahm. Eigentlich sollte sie das nicht überraschen. Schließlich war die Kleine als Sterbliche aufgewachsen. Es war also nachvollziehbar, dass sie Probleme damit hatte, Blut zu trinken, und sich dagegen wehrte. Vielleicht würde es ihr aber jetzt, da sie wusste, dass das Blut notwendig war, um ihren Körper reifen zu lassen, etwas leichter fallen. Schließlich wollte kein Mädchen für immer flachbrüstig bleiben.
»Okay, ich habe versprochen, dass du schlafen kannst«, besänftigte sie sie. »Solange Tiny noch unter der Dusche steht, werde ich schnell das Auto holen. Dann kannst du ein bisschen Blut trinken, und danach ruhen wir uns aus und brechen wie geplant am Morgen auf.«
Mirabeau ging bereits auf die Tür zu, als ihr plötzlich einfiel, wo sie den Autoschlüssel, den Lucian ihr gegeben hatte, versteckt hatte. Sie blieb stehen. Da sie keine Handtasche dabeigehabt hatte und in dem Brautjungfernkleid auch keine Taschen vorhanden gewesen waren, hatte sie den Schlüssel in den BH gesteckt – in Notfällen erwies sich dieses Versteck stets als sehr hilfreich. Doch der BH lag noch im Badezimmer, wo Tiny gerade duschte.
»Dann warte eben, bis er fertig ist«, schlug Stephanie vor. »In der Zwischenzeit kannst du mein Tattoo aufkleben.«
Mirabeau setzte sich wieder zu ihr aufs Bett. »Welches möchtest du denn?«
»Das Herz«, entschied Stephanie und reichte ihr die Bögen mit den Klebebildern.
Nachdenklich betrachtete Mirabeau das Herz, durch das sich eine gezackte Linie zog, die Stephanie offenbar hineingekratzt hatte.
»Ich habe es ein wenig verändert. So passt es besser.«
Mirabeau starrte das Herz an. Auf Stephanies Haut würde es aussehen, als wäre es gebrochen, genauso, wie sich Stephanies Herz momentan anfühlen mochte. Und sie erinnerte
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