Ein Vampir für jede Jahreszeit
Finger maßregelte, und fiel nach jeder Standpauke wieder in ihren Schritt ein. Die beiden gaben ein merkwürdiges, geradezu amüsantes Bild ab und Alice musste unwillkürlich lächeln.
»Was belustigt dich so?«, erkundigte sich ihre Mutter neugierig. Sie spähte Alice über die Schulter. Als sie ihre Freundin und den jungen Mann entdeckte, begann sie, zu strahlen. »Oh! Da kommt Margaret. Sieh nur, der junge Jonathan begleitet sie.«
Alice entging der vielsagende Blick, den ihre Mutter mit Onkel James wechselte, nicht. Doch ihr blieb nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, denn sie wurde sogleich von der Bank, auf der sie sich niedergelassen hatte, verjagt.
»Lass Lady Fairley dort sitzen. Hab Respekt vor den Älteren.«
Alice erhob sich automatisch, ihre Mutter und Onkel James dagegen blieben sitzen. So war sie die Erste, die Lady Fairley und ihren Sohn begrüßte.
»Ah, guten Morgen, meine Liebe«, murmelte die edle Dame. Der kühle Ton, den sie dabei anschlug, verwunderte Alice, denn Lady Margaret war für gewöhnlich ein warmherziger und freundlicher Mensch. Der frostige Empfang überraschte und verwirrte sie.
Die Dame strafte ihren Begleiter mit einem grimmigen Seitenblick und stellte ihn dann vor: »Das ist mein Sohn Jonathan.« Sie lächelte gezwungen und lustlos. »Jonathan, dies ist Lady Alice von Houghton.«
»Guten Morgen, Mylady«, begrüßte er sie mit einem strahlenden Lächeln, durch das sein kantiges Gesicht geradezu hübsch wirkte, nahm ihre Hand und beugte sich darüber.
»Guten Tag, Mylord«, murmelte Alice und erwiderte artig sein Lächeln, während Lady Fairley bereits erklärte: »Er war so freundlich, mich hierher zu begleiten, doch er kann nicht bleiben. Er hat einen Auftrag vom König erhalten, den es zu erfüllen gilt.«
»Ach, wie schade«, raunte Alice höflich. Dabei beobachtete sie die beiden neugierig. Die ältere Dame blickte noch immer missmutig drein, und auch die Miene ihres Sohnes hatte sich wieder verfinstert. Zwischen den beiden tobte offenbar ein Streit, den sie nur mit den Augen austrugen.
»Ich sehe keine Veranlassung, unverzüglich aufzubrechen«, widersprach Lord Jonathan. »Sicherlich kann ich noch einen Augenblick erübrigen, um die liebe Freundin meiner Mutter und ihre entzückende Tochter kennenzulernen.«
Alice kam nicht umhin zu bemerken, dass seine freundlichen Worte Lady Fairley offenbar nur noch mehr aufbrachten. Sie winkte gereizt mit der Hand ab, wandte sich dann um und stolzierte zur Bank, wo Alices Platz frei geworden war. Offenbar war die höfliche Vorstellungsrunde damit beendet. Es ließ sich nur schwerlich übersehen, dass Lady Fairley unerklärlicherweise vergessen hatte, ihren Sohn Alices Mutter vorzustellen. Auch ihr Onkel James war übergangen worden. Ihre Mutter hatte den Onkel am Morgen unverständlicherweise herbeizitiert, obwohl sie sich für gewöhnlich genierte, sich mit dem Mann zu zeigen, der bei Hofe als Dandy verschrien war. Noch verwunderlicher war allerdings die Freundlichkeit, mit der Lady Fairley ihn nun plötzlich behandelte. Nicht, dass Alice von der Adligen unhöfliches Betragen erwartet hätte, doch soweit sie hören konnte, überschüttete die Lady ihren Onkel geradezu mit Schmeicheleien. Verblüffend. Derart überschwängliche Gefühlsregungen hätte Alice vonseiten der ehrwürdigen, älteren Dame niemals erwartet, und schon gar nicht gegenüber einem Mann wie Lord James von Houghton.
Alice beschloss, über diese unerwartete Entwicklung später genauer nachzudenken, und widmete ihre Aufmerksamkeit wieder dem grimmigen Lord Jonathan. Ihr Blick wanderte vom Sohn weiter zur Mutter, just in dem Augenblick, in dem Lady Fairley sich unterbrach und ihren Sohn – und wenn Alice sich nicht sehr irrte, auch sie selbst – böse ansah.
»Komm an meine Seite, mein Sohn. Oder besser noch: Widme dich der Erledigung deiner Aufgabe.«
Das herrische Benehmen der Adligen empfand Alice als empörend, doch Jonathan reagierte weder verärgert noch beleidigt, sondern lächelte lediglich. In dem Lächeln lag eine gewisse Zuneigung für die ältliche Dame, aber auch noch etwas anderes.
»Unsinn, Mutter. Ich weiß, dass du dir Gedanken um die Erfüllung der mir auferlegten Aufgabe machst, aber es genügt wohl, wenn ich morgen damit beginne, mich mit diesem Unterfangen zu befassen. Außerdem kann ich ja wohl kaum zulassen, dass Lady Houghtons Tochter ganz alleine stehen muss. Auf eurer Bank ist ja nun kein Platz mehr für sie. Demnach muss
Weitere Kostenlose Bücher