Ein Vampir ist nicht genug - Roman
»Wahrscheinlich nicht.«
»Also, warum bin ich hier?«
Er wirkte überrascht, so als sollte ich das wissen. »Du bist ein Held.«
Langsam dämmerte mir etwas. »Pass auf, ich habe da unten nicht die Welt gerettet. Das war Cassandra.«
»Auch wenn das ein sehr eingängiger Begriff ist, es gibt keine Ein-Mann-Armee.«
»Was genau willst du von mir?«
Er warf mir diesen Spiel-nicht-die-Dumme-Blick zu, den man besonders ungern bekommt, wenn man auf Zeit spielt. Doch überraschenderweise antwortete er mir: »Sie befinden sich im Hauptquartier, Soldat. Es wird Zeit, Ihren Dienst zu verlängern oder in den Ruhestand zu gehen. Natürlich ist das Ihre Entscheidung, doch wir würden es begrüßen, wenn Sie Ihre Arbeit fortsetzen.«
Ich deutete mit dem Kopf Richtung Fenster. »Komischer Ort für das Hauptquartier.«
»Wir versuchen immer, möglichst nahe an der Front zu bleiben.«
»Dann solltet ihr in Miami sein.«
»Die Schlacht dort war siegreich.«
»Aber nicht der Krieg?«
»Den Raptor hast du nicht besiegt.«
»Werde ich fertig sein, wenn ich das geschafft habe?«
»Wenn du möchtest. Aber er ist ein verschlagenes Biest. Ihn wirst du nicht so einfach fangen.« Raoul spitzte die Lippen und schüttelte den Kopf. »Wie dem auch sei, ich schweife ab. Du musst eine Entscheidung fällen.«
Ich nickte. Es war also Zeit für den nächsten Schritt, so
oder so. Ich konnte mich in den Ruhestand zurückziehen. Das Wort »Ruhe« schimmerte wie ein samtiger grüner Morgenmantel. Doch ich hatte gesehen, was es aus Albert gemacht hatte, und es gab keinen Grund anzunehmen, dass ich wesentlich zufriedener sein würde. Außerdem würde mein Ruhestand bedeuten, dass Evie sich alleine um den störrischen alten Mann kümmern müsste. Ich würde nie ihre kleine Tochter sehen. Ich würde nie Daves Geschichte zu hören kriegen, die ebenso außergewöhnlich sein musste wie meine eigene. Bergman und Cassandra würden sich wahrscheinlich gegenseitig umbringen. Cole würde ein verbitterter alter Mann werden. Und Vayl … Vayl würde alleine durch die Welt streifen, voller Sehnsucht nach seinen Söhnen. Sehnsucht nach mir.
Ich sah Raoul in die Augen. »Ich bin dabei.«
»Hervorragend.« Er nickte mir kurz zu, und ein mystischer Wind fegte durch den Raum, warf Lampen um, zerschlug Vasen und zwang mich, die Augen zuzukneifen.
Als ich sie wieder öffnete, war Coles Gesicht nur Zentimeter von meinem entfernt, sein Atem lag noch warm in meinem Mund, und seine Finger drückten gegen meinen Hals. Als er spürte, dass das Blut wieder durch meine Adern floss, breitete sich ein Ausdruck von strahlendem Triumph auf seinem Gesicht aus.
»Sie ist zurück«, verkündete er mit einem Blick über die Schulter. Cassandra und Bergman fielen sich in die Arme und gaben mir das Daumen-hoch-Zeichen. Vayl kniete neben mir, und sein Gesicht war durch ein breites Lächeln in völlig neue Dimensionen verzogen, was ihn gleichzeitig glücklich und gequält wirken ließ.
»Ich bin so froh, dass du hier bist, Jasmine.«
Ich dachte eine Minute darüber nach und nickte dann. »Ich auch.« Doch irgendetwas beunruhigte mich. Etwas jenseits der Schmerzen ließ mich nicht … Ich suchte so viel von der Höhle ab, wie ich konnte, da ich außer meinem Kopf keinen Teil meines Körpers bewegen wollte. Da, immer noch am Fuß der Höhlenwand: Bozcowski. Alle außer mir hatten ihn vergessen.
Er begegnete meinem Blick. Sogar ohne telepathische Fähigkeiten konnte ich die Gedanken lesen, die in seinem verdammten Hirn rumspukten. Er hatte einen guten Anwalt und einen genialen Publicity-Manager. Wenn er die Klappe hielt, konnte er das Ganze überstehen. Und warum auch nicht? Politiker folgten schließlich einer langen Tradition, wenn sie sich aus Zwangslagen herauswanden. Und immerhin liebten ihn die Leute. Verdammt, er könnte sogar den Vampirismus zum nächsten nationalen Modetrend machen!
Das Kranke an der Sache war, dass ich mir sogar ein oder zwei Szenarien vorstellen konnte, in denen seine Fantasien Wirklichkeit wurden. Ich sah zu Vayl und ließ meine Augen dann zu Bozcowski zurückwandern, damit er verstand, was ich meinte. Bring den Job zu Ende.
Er stand auf, ging zum Senator hinüber, packte ihn am Kragen und schleifte ihn zu der Stelle, an der ich lag. Er hing in Vayls Griff wie ein übergewichtiger Siebtklässler, der Hilfe bei seinen ersten Liegestützen braucht. »Cole, hast du noch Jasmines Waffe?«, fragte Vayl.
Cole griff in seinen Hosenbund und zog
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