Ein Vampir ist nicht genug - Roman
empfahl mir die erste Tür auf der linken Seite. Ich bückte mich, um den Riemen meiner Sandale zurechtzurücken und mir dabei einen Überblick zu verschaffen. Die Treppe mündete in einen Raum mit Sofas, die von weißen Seidenüberwürfen geziert wurden, und einer dazu passenden, riesigen Ottomane. Die Sitzgruppe trennte den Korridor mit der Damentoilette, in dem ich jetzt stand, von dem Korridor mit der Herrentoilette auf der anderen Seite. Der Gang auf meiner Seite wurde ein wenig schmaler, als er an der Toilette und vier weiteren geschlossenen Türen - zwei auf jeder Seite - vorbeiführte, bevor er einen Knick machte. Ein kleiner Spaziergang
auf die andere Seite, unter dem Vorwand, die Aussicht genießen zu wollen, zeigte mir dieselbe Struktur.
Ich kehrte zur Damentoilette zurück. Während ich die Tür öffnete, warf ich einen Blick über die Schulter. Ich hatte bereits entschlüsselt, welche der angeblichen Gäste in Wahrheit Assans getarnte Schläger waren. Keiner von ihnen sah in meine Richtung, da Vayl genau diesen Moment gewählt hatte, um sein Glas fallen zu lassen. Ich ging also den Gang entlang und probierte alle Türen, nur um sie verschlossen vorzufinden. Am Ende des Ganges bog ich nach rechts ab, denn links wäre ich wieder nach unten und, der Geräuschkulisse nach, in die Küche gekommen.
In diesem Gang befanden sich auf der einen Seite eine lange Bank und auf der anderen eine Fensterfront. Tagsüber musste man von hier aus eine sensationelle Aussicht haben, da die Fenster, wie ich vermutete, auf einige Hektar Rasenflächen hinausgingen. An der Wand hinter der Bank hing ein rechteckiges, angestrahltes Gemälde, das eine ganze Schar von nackten ägyptischen Dienerinnen zeigte, die dem Pharao Gold, Speisen und Käfige mit wilden Tieren darbrachten. Der Gottkönig schien entzückt zu sein, sie alle zu sehen.
Am anderen Ende des Ganges gab es keine Treppe, sondern nur einen riesigen ovalen Spiegel in einem schicken Goldrahmen. Ich betrachtete mich selbst besorgt, als ich mich an den Spannungsabfall erinnerte, den ich gerade durchgemacht hatte. Der Gedanke daran verursachte mir Übelkeit, also schob ich ihn weg und zwang mich, mich auf den Job zu konzentrieren.
»Der Job, der Job, der Job, der Job, der Job«, flüsterte ich, bis mir bewusst wurde, was ich da tat, und mir auf die Wange biss. Ich bog an dem Spiegel rechts ab und kam so,
wie erwartet, in den Gang mit der Herrentoilette. Wieder stieß ich auf zwei Paar verschlossene Türen. Als ich die Herrentoilette erreichte, machte ich Anstalten hineinzugehen, tat dann so, als würde mir erst jetzt bewusst, dass das die falsche Tür war, und täuschte peinliche Berührtheit vor, während ich an der Sitzecke vorbei zur Damentoilette eilte.
Diesmal ging ich tatsächlich hinein. Der Raum war wie eine kleine Lounge eingerichtet, mit Rautentapete, einer roten Chaiselongue aus Samt und einem großen Farn im Topf. Die eigentliche Toilette war in einem klaustrophobisch engen Schrank untergebracht, und eine Badewanne mit Krallenfüßen teilte sich einen angrenzenden Raum mit einer deckenhohen Dusche und sage und schreibe vier Waschbecken, die eine ganze Wand einnahmen.
Um die von mir erwartete Zeitspanne zu überbrücken, wusch ich mir die Hände und zupfte an meinen Haaren herum. Als jemand den Raum betrat, drehte ich mich mit einem festgeklebten, höflichen Lächeln um. Das Gesicht entgleiste mir wohl vor Schreck, als ich feststellen musste, dass ich die Toilette mit einem Mann teilte, der genauso schockiert aussah, wie ich mich fühlte.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte er und fuhr sich mit den Fingern durch seine dicken, blonden Haare. »Ich weiß, dass Männer die Toiletten auf der anderen Seite benutzen sollen, aber ich war mir sicher, dass sie mich da finden würden.«
»Tja, sie werden Sie hier wahrscheinlich ebenso finden, zumindest sobald sich herumgesprochen hat, dass sich ein Mann auf der Damentoilette versteckt.« Während ich das sagte, musterte ich sein Gesicht. Was ich sah, gefiel mir auf Anhieb. Er hatte diesen jungenhaften Charme,
der in einem die Hoffnung weckt, dass die Welt vielleicht doch nicht ganz so ein Dreckloch ist. Er trug einen schwarzen Smoking mit roter Fliege, rotem Kummerbund und passenden roten Turnschuhen. Außerdem kaute er Kaugummi.
Ein Grinsen wie seines hatte ich schon früher gesehen. Es vermittelte die eindeutige Botschaft: Wenn du mich jetzt noch nicht liebst, wirst du es bald tun . Aber es war mit einem so
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