Ein Vampir ist nicht genug - Roman
Brust gepresst, und die Kraft verpuffte so schnell, dass ich fast geglaubt hätte, jemand habe den Stecker gezogen. Aber eben nur fast.
Ich musste Vayl finden. Wir mussten Charlies Angreifer finden. Aber bevor ich handeln konnte, hielt Charlie selbst mich davon ab. Er lag auf dem Boden, und seine weit geöffneten Augen sahen aus wie Murmeln. Ich hatte schon viele Leichen gesehen, und Charlie war definitiv ihrem Club beigetreten. Doch was als Nächstes passierte, hatte ich noch nie gesehen.
Aus Charlies Körper stieg dieses strahlende Licht auf und schwebte über ihm wie ein Nebelstreif. Nur, dass es wesentlich kompakter wirkte. Es war, als würde ein Diamant von Charlies Größe einen Meter über dem Teppich
schweben und dabei aus jeder Facette eine einzigartige Farbe abstrahlen. Dann plötzlich, als hätte eine kosmische Hand hinuntergegriffen und das Kaleidoskop gedreht, zerbrach der Diamant, drehte sich und formte sich neu. Jetzt tanzten viele kleine Juwelen über Charlies Körper. Einen Moment später flogen sie auseinander wie die Lichter eines spektakulären Feuerwerks.
Eines flog direkt in den Mund der Ehefrau und brachte sie zum Schweigen. Jedem der beiden Jungen setzte sich ein Juwel auf die Stirn und verschwand lautlos darin. Durch die Fenster, Wände und Türen verschwanden ebenfalls einige, und ich schätzte, dass sie im Laufe der Nacht ihren Weg zu seinen engsten Freunden und Verwandten finden würden. Das größte Juwel flog direkt durch die Decke, mit unbekanntem Ziel, aber ich - die abgestumpfte, zynische Jaz - hätte gewettet, dass es im Himmel landen würde.
»Das sind ja erstaunliche Nachwirkungen, Vayl«, murmelte ich.
»Was?«
Ich drehte mich um, und da stand er, keinen Meter von mir entfernt, und beobachtete das Geschehen von einer kleinen Nische aus. Seine Kraft war auf dem normalen Level. Die meisten Leute hätten ihn direkt ansehen können und trotzdem nichts bemerkt. Doch es sah niemand hin außer mir, und so war ich die Einzige, die mitbekam, wie er »materialisierte«. Der Anblick ähnelte einem Computerbild, das mit Farbe gefüllt wird. Im einen Moment war er nur eine Kreidezeichnung, im nächsten ein strenger, gut aussehender Gentleman, der die Grünpflanzen bewunderte.
»Vayl …«, begann ich, doch Cole trat vor und packte Vayls Ärmel.
»Wer hat das getan?«, fragte er aufgebracht. »Wer hat hier gerade diesen Mann umgebracht, während Sie nur dagestanden und zugesehen haben?«
»Ich hatte kein Recht, mich einzumischen …«
»Verdammt noch mal, das hier ist doch keine National Geographic -Doku! Sie sollen sich nicht in den Büschen verstecken und filmen, wie die Löwen die Zebras töten. Sie sollen die Löwen töten!«
»Wir sind die Löwen«, korrigierte Vayl ihn. »Und wir müssen extrem vorsichtig sein, wenn wir ein anderes Rudel herausfordern. Die Umstände müssen uns zum Vorteil gereichen, verstehen Sie?«
Cole sah so aus, als wolle er Vayl eine überbraten. »Genau«, sagte ich, griff nach Coles Hand und drückte sie, bis er seine Aufmerksamkeit auf mich richtete. Ich schüttelte den Kopf. »Auf eine solche Entfernung zu töten, das bedeutet richtig üble Kraft, Cole. Da wirft man sich nicht einfach so in den Weg. Es sei denn, man will ernsthaft verletzt werden.«
»Wer seid ihr?«, flüsterte Cole fassungslos.
Vayl und ich wechselten einen ausdruckslosen Blick und verfielen in eisiges Schweigen. Wir gingen davon aus, dass Cole das gar nicht wirklich wissen wollte.
Die Sanitäter trafen ein, und Charlie wurde auf einer Trage abtransportiert, seine schockierte Familie folgte im Schlepptau. Der Manager des Restaurants überredete schließlich die Gäste, wieder auf ihre Plätze zurückzukehren, und bot ihnen einen Nachlass von fünfzig Prozent auf ihre Rechnung an, damit sie nicht durchdrehten. Das funktionierte einigermaßen gut.
»Cole.« Ich wandte mich ihm zu, holte tief Luft und verabschiedete mich innerlich von ihm. »Raus hier.« Raus hier, raus hier, raus hier.
»Nein, warte mal«, sagten Cole und Vayl gleichzeitig und sahen sich dann konsterniert an, als ihnen klarwurde, dass sie einer Meinung waren.
»Hast du schon jemals gegen einen Vampir gekämpft?«, fragte ich Cole.
»Nein, aber …«
»Dann hat es keinen Sinn zu bleiben, oder? Verschwinde, solange du noch ein Mensch bist.«
»Aber was ist mit …«
»Wir rufen dich an, okay?«, versprach ich, ohne es so zu meinen, da ich hoffte, Vayl davon überzeugen zu können, Coles Verbindungen nicht
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