Ein verboterner Kuss
gesehen hatte. Die Damen bedrängten sie, etwas zu essen. Gespannt warteten sie auf Grace’ Reaktion auf jede Spezialität und bestürmten sie gleichzeitig mit Fragen. Grace gelang es sogar, selbst ein paar Fragen zu stellen.
Die Damen waren zum ersten Mal in England und fanden es ganz anders als ihre Heimat - ziemlich kühl und feucht, und das, obwohl Sommer war.
Nachdem sie von allem eine Kleinigkeit gekostet hatte, fühlte Grace sich zum Bersten satt. Sie war gerade dabei, sich bei den Damen zu bedanken, als ihr plötzlich auf Englisch entfuhr: „Ach, du meinte Güte, das hätte ich ja beinahe vergessen!“ Sie besann sich und fügte auf Arabisch hinzu: „Ich habe Ihnen ein paar kleine Geschenke mitgebracht.“
Sobald Dominic ihr erzählt hatte, bei wem sie übernachten würden, war Grace ihr Gepäck durchgegangen und hatte nach etwas gesucht, womit sie den Damen des Harems vielleicht eine Freude machen konnte - ein paar bunt illustrierte Magazine, eine Schachtel selbst gemachter Karamellbonbons sowie diverse Cremes und Lotionen, obwohl sie sich ziemlich sicher war, dass die Damen Letzteres wohl auch besitzen würden. Natürlich kannte sie deren Geschmack nicht, aber sie hatte sich gedacht, dass Haremsdamen sich für dieselben Dinge interessierten, nach denen Grace und ihre Schwestern sich so gesehnt hatten, als sie noch abgeschnitten von der Außenwelt im Haus ihres Großvaters gelebt hatten. Sie übergab ihnen auch ein paar der Dinge, die sie für die Kinder ihrer Schwester gekauft hatte: ein Mikadospiel, eine Landkarte, die man zu einem Puzzle zusammensetzen musste, eine französische Puppe und ein Kaleidoskop. Grace nahm an, dass die Damen auch Kinder hatten.
Die Frauen waren ganz begeistert von den Geschenken. Fasziniert blätterten sie in den Magazinen und betrachteten die Abbildungen, vor allem die, die über die neueste Mode informierten. Zu Grace’ Erstaunen stürzten sie sich aber mit genauso großem Entzücken auf das Kinderspielzeug. Sie liebten die französische Puppe, deren Kleider man aus- und wieder anziehen konnte. Sie sahen abwechselnd in das Kaleidoskop und brachen in Bewunderungsrufe über die wunderschönen Muster aus.
Die Schachtel mit dem Mikadospiel löste jedoch ihr Befremden aus, und sie sahen Grace verwirrt an, als wollten sie sagen: Du hast uns eine Schachtel mit Holzspießen mitgebracht?
Grace schob die Teller auf dem niedrigen Tisch zur Seite und zeigte den Damen, wie man dieses Spiel spielte. Schon bald saßen sie lachend alle vier um den Tisch und wetteiferten, wer die Geschickteste beim Mikado war.
Nach dem dritten Spiel waren sie beste Freundinnen und beim Du angelangt.
„Ich wünschte, ihr könntet meine Schwestern kennenlernen“, sagte Grace.
Die beiden jüngeren Frauen sahen Fatima an, sie überließen ihr die Antwort. Sie lächelte. „Ja, das würden wir sehr gern.“
Grace war überrascht. „Aber ich dachte, ihr wärt immer eingesperrt“, entfuhr es ihr. „Hinter all diesen Schlössern und Riegeln. “
Die anderen lachten. „Nein, die Schlösser und die Riegel sind nur zu unserem Schutz da“, erklärte Fatima. „Wir können selbstverständlich ausgehen, wenn wir in Begleitung sind.“
Bei englischen Mädchen aus guten Familien ist das im Grunde genauso, dachte Grace staunend.
Mouna untersuchte gerade die französische Puppe. „Trägst du auch alle diese Sachen unter deiner Kleidung?“, fragte sie Grace.
„Nicht genau die gleichen, aber sonst - ja.“
„Zeig sie mir.“ Mouna sprang erwartungsvoll auf.
Grace zuckte erschrocken zusammen. „Ihr wollt meine Unterwäsche sehen?“
Alle drei Damen nickten eifrig.
Grace errötete. Sie hatte sich noch nie zuvor vor Fremden ausgezogen. Nun ja, die Wäscheschneiderinnen ausgenommen. Und Dominic Wolfe. Es ist gar nichts dabei, sagte sie sich. Diese Damen waren einfach nur wissbegierig, und sie selbst war schließlich auch neugierig, was deren Kleidung betraf. Sie schluckte und stand auf. „Also gut. Das hier sieht aus wie ein Kleid, aber in Wirklichkeit ist es ein Rock mit einem Oberteil. Der Übergang wird von diesem Gürtel verdeckt.“ Sie sprach Englisch und betonte dabei die Worte „Rock“, „Oberteil“ und „Gürtel“, worauf die Damen sie auf Arabisch wiederholten. Grace versuchte, sich die Ausdrücke einzuprägen. „Unter dem Rock trage ich einen Unterrock.“ Sie raffte ihren Rock, um ihnen den Unterrock zu zeigen, doch in Windeseile hatten sie ihr den Rock ausgezogen, um besser
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