Ein verboterner Kuss
aber jetzt war nicht die Zeit, Fragen zu stellen. Sie eilte los. Gleich die erste Tür, die sie öffnete, führte in einen Salon mit einer Chaiselongue, die mit einem Laken gegen den Staub abgedeckt war. Sie zog das Laken weg - und er legte Sir John auf die Liege.
Immer wieder wurde der Raum durch Blitze erhellt. Dominic runzelte die Stirn. Der alte Mann sah schrecklich aus. Seine Haut war gelblich-grau und mit einem dünnen Schweißfilm überzogen. Er hielt die Augen geschlossen, und sein Atem ging rasselnd. Verdammt, wenn der alte Mann jetzt starb, hatte er die Tochter am Hals!
Miss Pettifer sagte irgendetwas, aber ihre Worte gingen im Heulen des Sturms unter. Regen und Wind rüttelten an den Fenstern. Sie versuchte es noch einmal, packte ihre kleine Freundin an der Schulter und rief ihr etwas ins Ohr. Flüchtig erinnerte er sich an den Geschmack dieser kleinen Freundin, was ihn vorübergehend etwas ablenkte.
„Ich hole sie“, rief Blauauge zurück. „Wo ist sie?“
Seine Verlobte erwiderte etwas, die andere nickte, umarmte sie kurz und lief davon.
Dominic beugte sich wieder über die Chaiselongue und sah zu, wie Miss Pettifer Sir Johns Halsbinde lockerte. Trotz ihrer offensichtlichen Sorge um ihn, kümmerte sie sich mit ruhigen, geschickten Handgriffen um ihren Vater. Das beeindruckte ihn.
Der alte Mann sah aus, als befände er sich an der Schwelle des Todes. Dominic bückte sich und rief der Tochter ins Ohr: „Ich hole einen Arzt.“
Sie nickte. „So schnell wie möglich.“
Dominic lief in die Stallungen, wo er die Araberstute sattelte. Er hatte nur zwei der Tiere einfangen können, das dritte war im Regen verschwunden. Zum Glück konnte er jetzt auf dieses Pferd zurückgreifen, sein eigenes, Hex, war zu erschöpft nach dem langen Ritt.
Er sah nach der trächtigen Stute. Sie hatte immer noch nicht gefohlt. Wahrscheinlich passiert das mitten in der Nacht, dachte er, das war die übliche Zeit bei Pferden.
Nach kurzem Suchen fand er einen alten schwarzen Regenumhang, legte ihn sich um und stieg in den Sattel. Einen Augenblick zögerte er, weil er nicht wusste, in welche Richtung er reiten sollte. Ich frage im Dorf nach, dachte er und ritt hinaus in den Regen.
Die Stute war eine freundliche kleine Schönheit, das Unwetter schien ihr nicht das Geringste auszumachen. Dominic ritt die Ausfahrt hinunter und wollte ohne nachzudenken an der umgestürzten Kutsche vorbeireiten, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Er hielt an, wischte sich den Regen aus den Augen und sah zu seiner Bestürzung eine zierliche Gestalt, die versuchte, eine schwere Reisetasche durch den Schlamm zu ziehen. Greystoke.
Dazu hatte Miss Pettifer sie also losgeschickt. Sie war eine Art Bedienstete, aber das war von Anfang an offensichtlich gewesen. Niemand sonst würde sich freiwillig so eintönig kleiden.
Sie hatte die Schultern gegen den Wind und den prasselnden Regen hochgezogen. Die nasse Kleidung klebte an ihrem schlanken Körper. Dominics Zorn regte sich. Jemanden bei diesem Wetter loszuschicken, um das Gepäck zu holen!
Er schwang sich vom Pferd und packte das Mädchen bei den Schultern. „Um Gottes willen, lassen Sie das Gepäck hier, bis sich der Sturm gelegt hat! Ein bisschen Wasser schadet ihm nicht, und bei dem Wetter stiehlt es ohnehin niemand.“ Ihr Körper fühlte sich so klein, nass und kalt unter seinen Händen an. Wie konnte man ihr zumuten, ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen und bei dem Wetter etwas heranzutragen, was noch nicht einmal ihr gehörte!
Er versuchte, sie unter seinen Umhang zu ziehen und ins Gebäude zurückzubringen, doch zu seinem Erstaunen widersetzte sie sich. Sie bückte sich, um wieder an der schweren Ledertasche zu zerren.
„Es geht um Sir Johns Medizin“, rief sie gegen den Sturm an. „Sie ist in irgendeiner dieser Taschen und Kisten, ich weiß nur nicht genau in welcher. Und sie sind viel zu schwer, ich kann sie nicht tragen.“
Dominic drückte ihr die Zügel in die Hand. „Dann halten Sie das Pferd. Ich trage das Gepäck ins Haus, danach bin ich gleich wieder da.“
„Wollten Sie einen Arzt holen? Ist es weit bis dorthin?“
Er zuckte die Achseln. „Ich habe keine Ahnung. Ich werde im Dorf nachfragen.“
Sie sah aus wie eine gebadete Katze. Er nahm seinen Umhang ab, legte ihn ihr um und zog ihr die Kapuze über die nassen Haare. Ihr Gesicht wirkte ganz klein und spitz vor Kälte und Sorge. Beruhigend drückte er ihre Schultern. „Es geht nicht anders.
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