Ein verboterner Kuss
Begriffsstutzigkeit. „Außer dass Sie Miss Pettifers Verlobter sind, was Ihr Verhalten noch scheußlicher macht, als ich zuerst gedacht habe! Ob nun Stallbursche oder Baron, in Sachen Manieren haben Sie noch einiges hinzuzulernen!“ Er konnte doch unmöglich vergessen haben, dass er sie zweimal geküsst hatte. Sie jedenfalls konnte es nicht.
Um seine Augen bildeten sich Lachfältchen. „Lehren Sie mich, was immer Sie wollen, Blauauge.“ Bei ihm klang das beinahe ... unanständig.
Sie schnaubte leise, aber es wäre dumm gewesen, auf eine so unanständige Bemerkung überhaupt einzugehen. „Wie komme ich am schnellsten in die Küche?“, fragte sie. „Dieses Haus ist zwar sehr reizvoll, aber unübersichtlich wie ein Fuchsbau.“
Er sah sie erstaunt an. „Sie finden es reizvoll?“
„Ja, sehr sogar. Warum? Sie etwa nicht?“
„Kein bisschen. Es ist hässlich und unpraktisch.“
„Still - sagen Sie das nicht! Der Wasserspeier könnte Sie hören und in seinen Gefühlen verletzt sein“, sagte sie erschrocken.
Sein Blick wurde noch verwunderter. „Der Wasserspeier?“ „Sagen Sie bloß, Sie hätten ihn nicht gesehen! Er ist unten, im Gebälk über der Eingangshalle. Aus Eiche geschnitzt, glaube ich, und er hat ein wundervolles Gesicht.“
„Und dieser Wasserspeier hat Ihrer Meinung nach Gefühle?“
„Aber natürlich! Schließlich ist er der Wächter dieses Hauses. Momentan ist er voller Staub und Spinnweben, daher muss sich der Ärmste etwas einsam und vernachlässigt Vorkommen.“
Seine Mundwinkel zuckten. „Tatsächlich?“
„Ja“, bekräftigte sie. „Man braucht ihn nur anzusehen, dann weiß man, dass er nicht zu der boshaften, Furcht einflößenden Sorte von Wasserspeiern gehört. Er ist freundlich, weise und gütig. Er wird die Liebe in dieses Haus bringen, warten Sie nur ab.“
Seine Miene verfinsterte sich. „Das bezweifle ich.“
Grace sprach einfach weiter. „Und Ihr Haus ist überhaupt nicht hässlich, sondern auf eine bezaubernde Art verschroben und ein wenig exzentrisch. Man kann es sehr schön herrichten, wenn man sich nur ein wenig Mühe gibt.“
Er wirkte nicht im Geringsten beeindruckt.
Sie zeigte auf die Steintreppe hinter sich. „Diese Treppe, zum Beispiel. Ich mag es, wie die Stufen im Lauf der Zeit von unzähligen Füßen ausgetreten worden sind. Sie und ich können so auf den Spuren von Generationen Ihrer Vorfahren wandeln. Finden Sie das nicht aufregend?“
„Kein bisschen. Dadurch sind die Stufen nur gefährlich geworden.“ Er wandte sich ab.
„Ach.“ Seine nüchterne Reaktion brachte sie etwas aus der Fassung. „Die Küche, bitte“, erinnerte sie ihn. „Wo ist sie?“ „Ich habe keine Ahnung.“
„Wie bitte? Aber das ist doch schließlich Ihr ... “
„Ich bin heute auch zum allerersten Mal hier.“
Sie war sprachlos. „Aber das ist das Zuhause Ihrer Vorfahren!“
„Ja, meiner Vorfahren. Nicht meins. Wahrscheinlich kennen Sie das Haus schon besser als ich, da Sie sofort ein Schlafzimmer für Sir John gefunden haben.“ Er runzelte die Stirn, als wäre ihm ihre ursprüngliche Frage erst jetzt bewusst geworden. „Wozu benötigen Sie die Küche?“
„Ich brauche heißes Wasser“, gab sie geistesabwesend zurück. In Gedanken war sie ganz bei dem Rätsel, warum ein Mann noch nie das Haus seines Vaters - seiner Familie - gesehen haben konnte. Und doch war er der rechtmäßige Sohn, sonst hätte er den Titel nicht erben können ...
„Eine ausgezeichnete Idee“, sagte er plötzlich in völlig verändertem Tonfall. Er klang eindeutig verschmitzt.
„Wie bitte?“, fragte sie argwöhnisch nach.
„Sie sagten doch, Sie wollten mir einmal gründlich den Kopf waschen und nicht nur den, wissen Sie nicht mehr?“ Er hakte die Daumen in den Bund seiner Reithose. „Also suchen wir die Küche jetzt gemeinsam, dann können Sie gleich damit anfangen.“ Er zwinkerte ihr zu. „Ich muss Sie aber vorwarnen - ich bin zwar im Allgemeinen ein recht robuster Mensch, aber gewisse Stellen an mir sind ziemlich ... empfindlich und sollten entsprechend behandelt werden.“
Sie weigerte sich strikt, auf seinen Hosenbund zu starren, und erwiderte stattdessen würdevoll: „Der einzige Grund, warum ich heißes Wasser benötige, ist der, dass Mel... Miss Pettifer eine Tasse Tee wünscht.“
Er machte sofort ein bedauerndes Gesicht. „Sie werden mich also nicht waschen?“
„Eher würde ich Sie in Öl braten!“, teilte sie ihm liebenswürdig mit.
Er lachte leise
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