Ein verboterner Kuss
Freundin.
„Der Arzt hat ihn wieder und wieder zur Ader gelassen.“ Sie verstummte und wischte sich die Tränen fort. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Papa guttun soll. Er schläft jetzt, aber er ist so schwach, viel schwächer als vorher.“
Grace runzelte die Stirn. Großonkel Oswald hatte so seine ganz eigene Meinung über Ärzte und kritisierte vor allem die, die ihre Patienten bei jeder Gelegenheit zur Ader ließen. „Hast du den Arzt gebeten, ihn nicht mehr zur Ader zu lassen?“
Melly nickte. „Ja, aber er hat es ignoriert. Du weißt ja, wie das ist.“
Das wusste Grace in der Tat. „Nun, lass uns sehen, wie es deinem Papa morgen früh geht. Vielleicht gibt es noch einen anderen Arzt in der Umgebung, dann könnten wir eine zweite Meinung einholen.“ Sie nahm wieder das Messer und fuhr fort, Gemüse zu schneiden.
„Der Doktor meinte, er wolle morgen früh wiederkommen. Eventuell könnten wir beide mit ihm reden.“ Melly stutzte, als sie das Chaos auf dem Tisch bemerkte. „Was, um alles in der Welt, machst du da?“
„Ich koche Suppe.“ Grace zerhackte eine Steckrübe. Es war eine sehr alte und sehr holzige Steckrübe. Grace’ verletzte Hand schmerzte und ihr Magen knurrte. Daran war nur der Gedanke an Fleischpasteten schuld. Zur Hölle mit dem Mann!
Melly beäugte das welke Gemüse argwöhnisch. „Ich wusste gar nicht, dass du kochen kannst.“
„Jeder kann kochen“, behauptete Grace und hoffte, dass das auch stimmte. „Außerdem bleibt uns nichts anderes übrig.“ „Warum nicht? Gibt es hier sonst nichts zu essen? Und sind wirklich keine Bediensteten im Haus? Wo ist unser Gastgeber überhaupt?“
Diese an sich harmlosen Fragen brachten Grace’ Blut in Wallung. Doch sie durfte ihren Zorn nicht an der armen Melly auslassen. Wütend bearbeitete sie die Steckrübe. „Unser Gastgeber“ - hack, hack, hack! - „dieser vollkommen schurkische, gefühllose Schuft, hat uns uns selbst überlassen.“ Hack, hack, hack! „Er hat sich sein Pferd geschnappt und ist weggeritten. Zum Dorfgasthaus!“ Sie versenkte die Rübenstücke schwungvoll im Topf. „Wo sie ausgezeichnete Fleischpasteten zubereiten!“
Die Rübenstücke dümpelten holzig mit den Möhren zwischen den grünen Kräutern. Sie glaubte nicht, schon jemals eine solche Suppe gegessen zu haben.
„Wie merkwürdig“, stellte Melly fest.
„Ja, ich glaube, das Gemüse ist zu alt.“
„Nein, ich meinte Lord D’Acre. Es ist sehr merkwürdig von ihm, einfach so zu verschwinden.“ Sie sah Grace etwas verlegen an. „Weißt du, er ist gar nicht so schlimm wie ich erwartet hatte. Er hat Stunden draußen im Unwetter auf der Suche nach einem Arzt für Papa verbracht - auch wenn du es letztlich warst, die einen geholt hat. Und er hat dem Doktor geholfen, Papa umzuziehen. Er hat mir sogar gesagt, ich solle mir keine Sorgen machen, es würde schon alles gut werden.“ Grace starrte sie ungläubig an. Wie konnte Melly nur auf so nichtssagende Zusicherungen hereinfallen? Derselbe Mann hatte eben noch die Ehe eine kaltherzige, geschäftliche Angelegenheit genannt, auch wenn Melly das natürlich nicht wissen konnte. Sie wusste allerdings, dass dieser Schuft gegangen war, um seinen eigenen Magen zu füllen, während sie hier beinahe verhungerten.
Melly deutete Grace’ Gesichtsausdruck falsch und nickte. „Ja, das war doch wirklich nett von ihm, nicht wahr?“
„Nett von ihm?“, brauste Grace auf. „Es ist überhaupt nichts Nettes an einem Mann, der loszieht, um köstliche Fleischpasteten zu speisen, während er es seinen Gästen überlässt, sich selbst ...“, sie sah angewidert in den Topf,.....eine ekelhafte Suppe zu kochen!“
Im selben Moment klopfte es an der Küchentür. Grace öffnete sie verwundert. Draußen stand ein Junge mit einem großen Weidenkorb. „Bitte, Miss, sind Sie zufällig Miss Greystoke?“
„Die bin ich.“
„Dann lässt Mylord Ihnen und den anderen das hier schicken.“ Er drückte Grace den Korb in die Hände und grinste über das ganze Gesicht. „Er hat mir einen ganzen Schilling gegeben, nur dafür, dass ich das hierher bringe!“, erklärte er freudig und rannte davon.
„Was ist das?“, fragte Melly hinter ihr. Sie nahm Grace den Korb ab und trug ihn zum Küchentisch. Ein sauberes blauweiß kariertes Tuch bedeckte den Inhalt. Als sie es wegzog, breitete sich der Duft frisch gebackener Fleischpasteten in der Küche aus.
„Mmm! “ Melly atmete genüsslich ein. „Das müssen die
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