Ein verboterner Kuss
ich werde das nicht zulassen. Das sind meine Pächter, wie Sie so treffend bemerkt haben, und sie werden eingestellt, um mein Schloss wieder in Ordnung zu bringen.“
Sie hob das Kinn und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.
Er wechselte seine Taktik. „Nun kommen Sie schon, Greystoke, warum so zimperlich? Was ist schon groß dabei - ein Kuss pro Person?“ Er strich mit dem Finger über ihre Wange. „Das bereitet nur Vergnügen und stellt keine Gefahr für Ihr kostbares Erspartes dar.“
Sie wich seiner Liebkosung aus. Es ging nicht um ihr Erspartes, schließlich war sie eine Erbin. Die Gefahr bestand für ihr Herz. Seine Küsse waren einfach zu verheerend. „Nein, Ihr Preis ist mir zu hoch. “
„Und wie ist es mit einem Kuss für alle zusammen? Das müsste dann natürlich ein besonders ausgiebiger Kuss sein.“ Sie schüttelte ruhig den Kopf. „Nein, der Preis ist mir immer noch zu hoch.“
„Als wir uns das erste Mal begegnet sind, haben Sie mich einfach so geküsst.“
Bei ihm klang das, als wäre sie irgendein Flittchen, das sich jedem Fremden sofort an den Hals warf! „Das habe ich nicht getan“, gab sie pikiert zurück. „Sie haben mir diesen Kuss - diese Küsse - unter Vorspiegelung falscher Tatsachen geraubt.“
„Falsche Tatsachen? Welche falschen Tatsachen?“
„Bei diesem ersten Kuss wusste ich nicht, dass Sie Lord DAcre sind.“
„Das stimmt.“ Er schmunzelte. „Sie nannten mich einen unmöglichen Zigeuner, nicht wahr? Also, wenn Sie mich so lieber haben wollen, dann spiele ich auch den Zigeuner für Sie, Blauauge.“
„Nennen Sie mich nicht so! Und nein, ich will Sie überhaupt nicht haben“, log sie. „Das hat nichts mit Ihrem oder meinem Rang zu tun, sondern einzig und allein damit, dass Sie mit Miss Pettifer verlobt sind.“
Er nickte. „Ich verstehe. Aber das ist keine Erklärung für die anderen Küsse. Beim Holzhacken. In der Küche. Und in den frühen Morgenstunden im Stall bei dem Fohlen.“
„Die haben Sie mir ebenfalls geraubt.“
„Nein, das habe ich nicht. Da wussten Sie längst, wer ich bin. Außerdem können Sie es nicht abstreiten, Greystoke, Sie haben meine Küsse erwidert. Mit schmeichelhafter Begeisterung. Oder wollen Sie leugnen, dass Sie mir mit den Fingern durchs Haar gestrichen oder sich mit Ihrer Zunge in meinen Mund vorgewagt haben?“
Bei seinen Worten wurde ihr siedend heiß. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, entging ihm das nicht. „Unsinn. Sie haben mich nur überrumpelt“, erwiderte sie kläglich. „Ich war mir gar nicht bewusst, was da geschah.“
Er lächelte und zeigte seine strahlend weißen Zähne. „Wenn das so ist, werde ich versuchen, Sie öfter zu überrumpeln, Greystoke. Die Folgen sind immer so reizvoll.“
Und ehe sie sich versah, hatte er sie mitten auf den Mund geküsst. Schmunzelnd leckte er sich die Lippen. „Hm, Wildblütenhonig“, sagte er nur. Mehr brauchte es auch nicht, sein Lächeln sagte alles. Das und der rasende Schlag ihres Herzens.
„Ich w...werde nicht ...“, begann sie, als sie sich wieder etwas gefasst hatte.
Doch er war bereits gegangen. Fröhlich vor sich hin pfeifend.
Dominic schmunzelte immer noch, als er ins Freie trat. Es machte solchen Spaß, sie zu necken. Und solches Vergnügen, sie zu küssen. Der schwache Geschmack von Honig war immer noch in seinem Mund zu spüren. Ihm war leichter ums Herz als seit vielen Jahren.
Beim Anblick der stumm wartenden Leute erstarb sein Lächeln. Ganz gleich was sie dachte, aber ihm waren die heruntergekommenen Hütten, die mageren Kinder in ihrer schäbigen Kleidung und die heruntergewirtschafteten Bauernhöfe nicht entgangen. Seit seiner Ankunft in Wolfestone hatte er an kaum etwas anderes gedacht.
Abgesehen von einer kleinen sommersprossigen Gesellschaftsdame.
Das Vermächtnis seines Vaters entsprach ganz und gar nicht seinen Erwartungen. Er hatte ein schmuckes Schloss im normannischen Stil erwartet, nicht einen wunderlichen Mischmasch aus Herrenhaus, gotischem Schloss und Gutshof mit einem Türmchen wie aus einem Märchen darauf. Er hatte damit gerechnet, dass es feudal und mit schönen Dingen eingerichtet sein würde. Stattdessen war es leer und ausgeräumt, und durch die verlassenen Flure wehte der Wind. Er hatte einen blühenden Besitz erwartet mit wohlgenährten Pächtern, die den Namen Wolfe in Ehren hielten.
Denn genau diesen Schluss hatten die Geschäftsbücher und die Inventarlisten zugelassen. Nur dass sich leider
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