Ein verboterner Kuss
frischgebackenen Ehemann aus Frankreich zurückgekehrt war, hatte sie allen Merridew-Mädchen erzählt, wie herrlich es sei, im Meer zu schwimmen. Im darauffolgenden Sommer hatten sie es dann alle gelernt. Es war in der Tat himmlisch, und die zwölfjährige Grace war schon bald geschwommen wie ein Fisch. Seitdem hatte sie jeden Sommer Gelegenheiten gefunden, baden zu gehen, auch wenn diese Sportart als ein wenig skandalös für Damen galt.
Wenn sie sich jetzt davonschlich, würde das gar niemand bemerken. Zu dieser Zeit am Nachmittag waren alle noch sehr beschäftigt. Und Lord D’Acre war geschäftlich nach Ludlow geritten und somit in sicherer Entfernung.
Sie klopfte an Sir Johns Schlafzimmertür, trat ein und knickste. „Sir John, Miss Pettifer. Wie geht es Ihnen heute, Sir John?“ Insgeheim fand sie, dass er womöglich noch schlechter aussah. Er war dünner und blasser denn je. Sie warf einen Blick auf das Tablett mit seinem Mittagessen. Der Teller Hühnersuppe und die dünnen Scheiben Brot mit Butter waren nicht angerührt worden. Melly fing ihren Blick auf und schüttelte kaum merklich den Kopf. Sir John hatte noch immer keinen Bissen herunterbringen können.
„Ich kann nicht klagen, Greystoke.“ Er versuchte, sich anders hinzulegen, und verzog dabei vor Schmerzen das Gesicht. „Ich werde alt, das ist alles. Sind Sie gekommen, um mit uns Karten zu spielen? Ich knöpfe meiner Tochter langsam ihr ganzes Taschengeld ab.“
„Vielen Dank, nein. Ich wollte nur eben das Tablett abholen und Miss Pettifer daran erinnern, dass sie heute Nachmittag ein wenig spazieren gehen wollte.“
„Eine gute Idee, ab mit dir, Melly“, sagte er sofort. „Du brauchst wirklich nicht in einem stickigen Krankenzimmer bei deinem alten Vater zu sitzen. Geh an einem so schönen Tag lieber nach draußen.“
Melly schüttelte heftig den Kopf. „Nein, im Moment ist es noch viel zu heiß, um sich im Freien aufzuhalten. Ich gehe lieber am Abend spazieren, wenn es kühler ist.“
Ihr Vater lächelte sie nachsichtig an. „Du machst dir Sorgen um deinen Teint, stimmt’s, Kleines? Nun ja, einen so zarten Teint muss man ja auch schützen, nicht wahr, Greystoke? Nicht viele von den feinen Londoner Damen können in der Hinsicht mit Melly mithalten.“ Er sah Grace mitleidig an. „Sie sollten auch besser auf Ihren Teint aufpassen, kleine Greystoke. Vielleicht kann Melly Ihnen ja ein paar Ratschläge geben.“
Melly unterdrückte ein Kichern. Sie hatte Grace am vergangenen Abend geholfen, deren Sommersprossen wieder aufzufrischen.
„Ja, Sir John, vielen Dank.“ Grace knickste und nahm das Tablett.
Wenn Melly keine Ausrede wünschte, um für eine gute Stunde einmal nach draußen zu kommen, konnte sie das auch nicht ändern. Sie brachte das Tablett in die Küche und verließ anschließend gut gelaunt das Haus. Jetzt war sie frei und konnte tun, was sie wollte. Zum Beispiel zu dem Teich gehen, von dem Granny Wigmore ihr erzählt hatte und der magische Kräfte haben sollte - magische, von Sommersprossen befreiende Kräfte. Egal. Viel wichtiger war: Grace konnte schwimmen, und niemand würde davon etwas mitbekommen. Und ihren Sommersprossen konnte nichts passieren. Mittlerweile hatte Grace sie richtiggehend lieb gewonnen.
Sie hatte früher keine Ahnung gehabt, wie sehr sommersprossige Mädchen zu leiden hatten. Jeder hatte einen Ratschlag parat, wie man die Dinger loswerden konnte. Mrs Parry hatte ihr Buttermilch geschickt. Granny Wigmore schwor auf das Wasser von Gwydions Teich. Sogar Mrs Tickel hatte ihr Zitronen geschickt mit der Empfehlung, dass Grace zweimal täglich ihr Gesicht mit Zitronensaft waschen sollte.
Und Männer mit verschmitzten goldbraunen Augen dachten laut darüber nach, wo sie sonst noch Sommersprossen haben könnte...
Eine Stunde später verließ Dominic Ludlow wieder. Es war ein sengend heißer Nachmittag, und als Dominic schließlich in Lower Wolfestone eintraf, hatte er einen gewaltigen Durst. Er war so durstig, dass er sich sogar nach einem großen Humpen mit dem bitteren Ale vom „Wolfestone Arms“ sehnte. Er wollte nicht zugeben, nicht einmal im Stillen, dass ihm das Gebräu allmählich zu schmecken anfing.
Ganz in Gedanken verloren bahnte er sich einen Weg durch die Leute, die im Schankraum versammelt waren. Ihm fiel flüchtig auf, dass das Lokal ziemlich voll war, fragte sich aber nicht weiter nach dem Grund. Eine Stimme holte ihn aus seinen Grübeleien.
„Wolfe! Dominic Wolfe! Ich fasse es
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