Ein verführerischer Akt
ihr auch vorher durch den Kopf gegangen sein mochten, eines wusste sie jetzt ganz genau: Sie war in Julian verliebt. Das war seltsam, verstörend und fast ein wenig beängstigend, doch es ließ sich nicht länger leugnen. Nachdem sie sich nie hatte vorstellen können, dass ihr jemals so etwas passierte, wünschte sie jetzt etwa, ihre Zukunft mit ihm zu teilen?
Rebecca fühlte sich hin- und hergerissen. Konnte sie ihr Streben nach einem anderen Leben einfach aufgeben? Wo sie nicht einmal wusste, ob er in der Lage war, ihr auf halbem Wege entgegenzukommen, oder ob er es überhaupt wollte.
Was würde er denken und tun, wenn sie es ihm sagte? Sie noch mehr behüten?
Vielleicht war ihm ihr Liebesgeständnis sogar peinlich, weil er nicht das Gleiche empfand? Alles schien mit einem Mal so viel komplizierter. Ein Grund mehr, über die neuen Entwicklungen gründlich nachzudenken.
Aber was soll’s, dachte sie. Nichts konnte sie im Augenblick daran hindern, sich wieder an ihn zu kuscheln und seine Wärme und seinen Schutz in dieser kalten Nacht zu genießen.
Sie liebte ihn.
Kapitel 22
Weit vor Tagesanbruch stand Julian auf und zog sich an, während Rebecca verschlafen liegen blieb und den Geräuschen lauschte, die er im Dunkeln machte, und sich vorstellte, was sie nicht sehen konnte.
Sie liebte ihn.
Seufzend rollte sie sich auf die Seite.
»Bleib noch eine Stunde im Bett – oder besser im Heu«, meinte er. »Die Nacht war anstrengend. Jeder würde es verstehen. Trotzdem sollten wir, sobald die morgendlichen Aufgaben erledigt sind, aufbrechen. Stubbes hat angeboten, uns ins nächste Dorf zu fahren.«
»Glaubst du etwa, dass seine Frau auch einfach weiterschlafen kann?«
»Nein, aber es war ihr Kind, das alle wach gehalten hat.«
»Trotzdem sollte ich ihr helfen. Du gehst zu dem Bauern und den Jungs, und ich mache mich im Haus nützlich.«
Sie spürte seine Hände, die sich um ihr Gesicht legten, und sie war verblüfft, als er ihr einen innigen Kuss gab. Würde er wieder »mein Schatz« zu ihr sagen?
»Na gut«, meinte er. »Wir sehen uns dann beim Frühstück.«
Nachdem er gegangen war, zog sie sich verwirrt und unsicher langsam im Dunkeln an, und gleichzeitig fühlte sie sich fast schwindelig vor Freude. Konnte ein Mann wie Julian sich in jemanden wie sie verlieben? Wie wichtig war es für sie, dass er in der gleichen Weise für sie empfand? Was, wenn er immer noch eine passende Ehefrau nach rein logischen Gesichtspunkten suchte?
Langsam stieg sie die Leiter hinunter, um den Abort aufzusuchen. Nebel waberte im frühen Grau des Morgens und schränkte die Sicht ein. Deshalb bemerkte sie zu spät, dass jemand bereits auf sie wartete, sie von hinten packte und ihr den Mund zuhielt.
Der Schock war so groß, dass sie sich einen Moment lang nicht einmal wehrte, bevor sie mit aller Kraft nach hinten austrat und ein Schienbein traf.
»Blödmann, hilf mir, sie hochzunehmen«, zischte der Mann einem anderen hinter ihr zu.
Obwohl sie wie wild um sich schlug und mit den Beinen strampelte, gelang es den Kerlen, sie hochzuheben und wegzutragen. Sie konnte nichts sagen, nichts tun, obwohl sie sich die ganze Zeit wand. Sie war den beiden hilflos ausgeliefert.
Keine Frage, dass es sich um Windebanks Handlanger handelte. Hatten sie sich auch Julian bereits geschnappt? Würden sie den Stubbes etwas antun?
Sie atmeten schwer, während sie sie davontrugen. Der Weg schien kein Ende zu nehmen, doch schließlich tauchte aus dem Nebel eine schwarze Kutsche auf.
Gütiger Himmel, und sie hatte sich in den letzten Tagen häufig gewünscht, mal wieder in einer Kutsche zu reisen. Aber doch nicht so!
Der Mann, der ihre Füße hielt, öffnete mit einer Hand den Schlag, und sie nutzte die Gelegenheit, ihm einen Tritt in den Bauch zu verpassen. Er stöhnte zwar vor Schmerz auf, was jedoch nichts daran änderte, dass sie unsanft in die Kutsche geworfen wurde.
Sie wollte sich gerade aufrichten, als einer von den beiden hinter ihr einstieg und ihr einen Stoß in den Rücken versetzte, sodass sie bäuchlings auf dem schmutzigen Boden landete. Dann setzte sich das Gefährt mit einem Ruck in Bewegung.
Sie kam auf die Knie und drückte sich gegen die Wand. Der Morgen war angebrochen, sodass sie das Gesicht des Mannes erkennen konnte, der sie gepackt hatte. Es war derselbe, der ihr in London aufgelauert und mit dem das Fiasko seinen Anfang genommen hatte.
Er packte sie am Oberteil ihres Kleides und schob sie auf die gegenüberliegende Bank.
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