Ein verführerischer Akt
bis hinunter zum Fluss, doch erwartungsgemäß fand sich keine Spur von Rebecca, nicht einmal der Abdruck eines Frauenstiefels. Zurück bei der Scheune stieg Julian nach oben, um ihrer beider Habseligkeiten zu holen.
Als er wieder nach unten kam, erwartete Stubbes ihn mit in die Hüften gestemmten Händen. »Sie scheinen zu wissen, was mit Ihrer Frau passiert is.«
» Stimmt. Ich dachte, ich könnte sie beschützen, aber ich habe mich geirrt.«
»Sie gehen also.«
»Ich weiß, wohin man sie gebracht hat.«
Der Bauer zog die Augenbrauen hoch. »Dann is sie richtig entführt worden?«
Julian nickte.
»Sie und Ihre Frau, Sie sind auf der Flucht vor irgendwas?«
Das entsprach zwar nur teilweise der Wahrheit, doch Julian nickte trotzdem.
Stubbes kniff die Augen zusammen und murmelte: »Sie sprechen plötzlich ganz anders, wie ein feiner Herr, Mylord.«
Julian schwieg.
»Lassen Sie sich von mir helfen«, erklärte der Bauer ernst.
»Nein. Es ist zu gefährlich. Man wird ihr nichts tun; man will mich nur zu ihr locken. Verzeihen Sie mir die offenen Worte, aber Sie sind unwichtig für diese Leute, und man würde Ihnen vielleicht etwas antun.«
»Wie wolln Sie denn hinterher?«
Julian zögerte.
»Nehmen Sie zumindest eins von meinen Rössern.«
»Aber Sie sind gerade beim Pflügen …«
»Ich werd ein paar Wochen auch mit einem Pferd auskommen. Und ich bin sicher, dass Sie es eh früher zurückbringen.«
»Das werde ich, Mr Stubbes, ich gebe Ihnen mein Wort.«
Gemeinsam sattelten sie den Wallach und steckten nur die Sachen, die Julian für unbedingt nötig hielt, in eine der Satteltaschen. Die Bäuerin brachte ein Paket mit Reiseproviant und mehrere verkorkte Flaschen, die sie in die andere Tasche steckte. Sie musterte Julian jetzt ebenfalls ehrfürchtiger als zuvor – vermutlich hatte ihr Mann ihr von dem Gespräch erzählt.
Julian schwang sich in den Sattel, beobachtet von den Kindern, die am Scheunentor standen. Er drehte sich noch einmal zu den Stubbes um. »Ich kehre so bald wie möglich mit Ihrem Pferd zurück.«
»Und mit guten Neuigkeiten«, fügte die Bäuerin hinzu. »Der liebe Gott soll mit Ihnen sein und Ihrer Frau, Mylord.«
»Danke … für alles.«
Er wendete das Pferd, ritt an den Kindern vorbei und trabte los. Am liebsten wäre er den ganzen Weg galoppiert, aber es lagen zu viele Meilen vor ihm, und er durfte das Tier nicht überanstrengen.
Mit seinen eigenen Kräften musste er ebenfalls haushalten. Julians ursprünglicher Plan, den Chief Inspector einzuschalten, ließ sich nun, da Windebank Rebecca in seiner Gewalt hatte, nicht mehr umsetzen. Zu groß war die Gefahr, dass er sie umbrachte.
Die Vorstellung, ohne sie an seiner Seite weiterzuleben, schien ihm trostlos und unnütz. Sie musste seine Frau werden – seine große Liebe war sie ja bereits. Irgendwie, auf Biegen und Brechen, musste er sie davon überzeugen, dass sie füreinander bestimmt waren.
Doch zunächst galt es, seinem Onkel und seiner Mörderbande entgegenzutreten und eine Möglichkeit zu finden, Rebecca in Sicherheit zu bringen, ohne dass dabei Blut floss.
Vor allem nicht ihres.
Kapitel 23
Rebecca wusste nicht, mit was für einer Art Gefängnis sie gerechnet hatte. Aber gewiss nicht mit einer wissenschaftlichen Bibliothek mit schweren Ledersesseln, mehreren Schreibtischen und Wandschränken voller Bücher.
Sie war froh, allein zu sein, nachdem sie den größten Teil des Tages in einer Kutsche mit diesem schrecklichen Mann verbracht hatte, der sie die ganze Zeit anstarrte, als würde er nur auf das Signal warten, sich auf das Festmahl vor ihm zu stürzen.
Was mochte Windebank ihm wohl versprochen haben, fragte sie sich mit Schaudern. Um sich abzulenken, trat sie an die Fenster, durch die man in den großzügig angelegten Park schauen konnte. Es war ein friedlicher Anblick, der sich da bot, eine weitläufige Heckenlandschaft und in der Ferne frisch gepflügte Felder, bereit für die Aussaat.
Und trotzdem saß sie in einem Gefängnis. Sie war durch leere Gänge gezerrt und dann hier eingesperrt worden, und niemand reagierte auf ihre Hilfeschreie. Da sich die Fenster, wie sie feststellen musste, nicht öffnen ließen, blieb ihr nichts anderes übrig, als zu warten, ihrem knurrenden Magen zu lauschen und zu versuchen, nicht in Panik zu geraten.
Was leichter gesagt als getan war. Das Ganze entwickelte sich zu einem einzigen Alptraum für sie, zumal dadurch alte Erinnerungen aus der Kindheit, dieses Gefühl der
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