Ein verführerischer Akt
ihm. Andererseits fror sie, wenn sie sich nur bis zur Taille zudeckte, und zudem brachte ihn das womöglich auf dumme Gedanken. Am Ende entschied sie sich für den Mittelweg – bis zur Brust – und legte die Arme auf die Decke. Die Stangen ihres Korsetts engten sie schon jetzt ein, doch das ließ sich kaum ändern.
Sie überlegte, ob sie sich schlafend stellen sollte. Sie verwarf den Gedanken, weil es ihr zum einen feige und zum anderen albern vorkam. Ein solches Theater ließ sich ohnehin nicht lange durchhalten.
Nach einem leisen Klopfen öffnete sich die Tür, und Julian kam mit seiner Jacke über dem Arm ins Zimmer zurück. Er krempelte sich die Hemdsärmel hoch und öffnete ein paar Knöpfe am Kragen. Sein Gesicht war noch feucht.
»Sie hätten sich hier waschen können«, sagte sie leise.
»Kein Problem«, gab er zurück.
Interessiert beobachtete sie, wie er seine Stiefel auszog, denn normalerweise beanspruchte er dazu bestimmt die Hilfe seines Kammerdieners. Sollte sie ihm ihre anbieten? Nicht nötig, merkte sie, denn er schaffte es alleine. Sie musterte ihn, wie er mit abgewandtem Gesicht auf dem Stuhl saß und sein Rücken noch breiter wirkte als sonst. Dieser Mann brauchte weiß Gott keine Polster in seiner Jacke, um die Schultern zu betonen. Sie fragte sich, ob er wohl irgendwelche Sportarten betrieb, denen er seine kräftigen Muskeln verdankte. Aber was kam für ein Mitglied des hohen Adels außer Degenfechten groß infrage? Boxen oder gar Ringen wohl kaum …
Dann pustete er die Kerzen aus. Obwohl sie sich mahnte, ganz entspannt liegen zu bleiben, verkrampfte sie sich unwillkürlich. Da half alles nichts, sich einzureden, dass sie soeben ein aufregendes Abenteuer erlebte, das sie später vor Susanna und Elizabeth spannend ausschmücken konnte. Denn der Druck in der Magengrube verriet ihr, dass das Ganze nicht unbedingt abenteuerlich, sondern eher schon tollkühn und ganz und gar nicht schicklich war. Steif lag sie auf dem Rücken und bemühte sich gleichmäßig zu atmen, doch als er sich neben sie legte, wäre sie um ein Haar gegen ihn gerollt. Auch wenn sie das verhindern konnte, berührten sich ihre Schultern.
»Dieses Bett ist wirklich nicht sonderlich breit«, murmelte er im Dunkeln.
»Nein, ist es nicht.« Fast hätte sie wegen ihrer atemlos klingenden Stimme aufgestöhnt. Was musste er von ihr denken? Er hielt sie bestimmt für eine Frau mit lockerer Moral, weil sie nackt Modell gestanden hatte. Dann ihr Beharren, an seiner Seite zu bleiben, wenn er das Geheimnis des Diamanten erforschte, und ihre Bereitschaft, sich als seine Frau auszugeben. Nahm er etwa an …?
Nach mehreren Minuten angespannten Schweigens räusperte er sich. »Also, haben Sie nun schon von der Brautwerbung im Bett gehört, oder nicht?«
Sie war dankbar für die Ablenkung, obwohl es dabei nicht gerade um ein unverfängliches Thema ging. »Ja, ich habe darüber gelesen. Meine Mutter allerdings dürfte solche Methoden der Werbung höchst befremdlich finden. Trotz ihrer Probleme, die Töchter endlich an den Mann zu bringen.«
»So im Dunkeln ist es irgendwie … anders. Ich glaube, es geht darum, dass man Paaren die Möglichkeit gibt, sich nach einem anstrengenden Arbeitstag zu entspannen und gleichzeitig kennenzulernen.«
»Das wollen Sie doch gar nicht«, erwiderte sie und starrte im Dunkeln die Decke an.
»Wie kommen Sie auf diese Idee?«
Sie hörte die Belustigung, die in seiner Stimme mitschwang. »Julian, ich weiß, dass Sie mich nicht hierhaben wollen, dass ich mich Ihnen aufdränge. Sie brauchen nicht so zu tun, als bestünde zwischen uns eitel Freude und Sonnenschein. Wir können auch einfach schlafen.«
»Sie finden also, dass die Situation angespannt ist?«
Sie verschränkte die Arme über der Brust und streifte dabei seine Schulter. »Natürlich ist sie das, und wie sollte es anders sein? Gemeinsam in einem Bett, ich bitte Sie! Aber Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, dass ich vielleicht von Ihnen verlange, mich zu heiraten. Ich habe es offen gesagt überhaupt nicht eilig mit einer Ehe.«
»So etwas habe ich aus dem Mund einer jungen Dame im heiratsfähigen Alter noch nie gehört.«
»Oh, zweifeln Sie nicht an meinen Worten. Ich mag zwar zunächst auf die diesbezüglichen Wünsche meiner Mutter eingegangen sein, doch das lag nur daran, dass ich so lange nicht an Festen teilnehmen konnte. Es war eine ganz neue Welt, die sich mir da plötzlich auftat: Einladungen und Bälle, schöne Kleider,
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