Ein verführerischer Akt
eindeutig freier.«
»Was für ein Abenteuer«, sagte er, und in seiner Stimme schwang ein Anflug von Sarkasmus mit.
»Das ist es tatsächlich«, beharrte sie, »auch wenn du zu zielgerichtet denkst, um es überhaupt zu begreifen.«
»Mir gehen eine Menge Gedanken durch den Kopf. Am amüsantesten finde ich die Erinnerung an den Ausdruck auf deinem Gesicht, als die Kerzen heute Morgen angezündet wurden und du alle sehen konntest, die mit uns in dem Raum geschlafen hatten, und du dir überlegtest, wer es wohl gewesen sein mochte. Deine Gesichtsfarbe ließ den schönsten Sonnenuntergang blass erscheinen.«
Sie stöhnte und schloss die Augen. »Ich wünschte, du würdest nicht wieder davon anfangen. Es war unvorstellbar …«
Er lachte leise. »Ich muss gestehen, dass ich ebenfalls nie gedacht hätte, so etwas zu erleben, vor allem nicht gemeinsam mit dir.«
»Wie konntest du überhaupt so etwas auch nur in Betracht ziehen?«, wollte sie wissen.
Er sah sie unter halb gesenkten Augenlidern hervor an. »Ich habe eben eine lebhafte Fantasie.«
Ihr stockte der Atem.
»Jetzt wirst du ja schon wieder rot.«
»Ach, schlaf einfach. Ich werde dich wecken, wenn ich sehe, dass die anderen wieder an die Arbeit gehen.«
»Ich schlafe ganz bestimmt nicht«, sagte er, obwohl er die Augen geschlossen hielt.
»Bist du denn überhaupt nicht erschöpft?«
Er zuckte die Achseln. »Es überrascht dich vielleicht, aber ich habe zu Hause auf den Feldern und in den Scheunen genauso hart gearbeitet.«
Sie war keineswegs verwundert. »Ich kann mir vorstellen, dass die Angestellten deine Hilfe zu schätzen wussten.«
»Ich lernte dabei vielerlei Nützliches, und insofern war es auch für mich eine wertvolle Erfahrung.«
»Und weil du mithalfst, erklärten sie sich bereit, auch ohne großen Lohn zu bleiben.«
Er schloss wieder die Augen. Über dieses Thema wollte er sich eindeutig nicht unterhalten. Lag ihm eigentlich nichts daran, welche Meinung sie sich über ihn bildete? Oder war es selbstverständlich für ihn, dass man ihm seine Bemühungen nicht dankte? Sie hoffte, dass es nicht so war. Dann erinnerte sie sich wieder an die Probleme mit seinen jüngeren Brüdern. Ganz offensichtlich wussten sie nicht sonderlich zu schätzen, was er alles für sie getan hatte und noch tat.
»Hast du je zuvor in deinem Leben Fisch entladen?«
Er lächelte. »Nein, das ist eine neue Tätigkeit, die ich seit heute zum Repertoire hinzufügen kann.«
Mehrere Minuten lang saßen sie schweigend da, und am leichten Zucken seiner Gliedmaßen merkte sie, dass er gerade ein wenig eindöste. Sie sah ihn gerne an: seine Haut, die sich durch die Sonne bereits dunkler färbte; sein störrisches dunkles Haar. Wegen seiner kräftigen Nase und dem stoppeligen Gesicht dachten die Leute hier, er sei einer der ihren, und tatsächlich schien er in vielen Welten zu Hause. Rebecca wollte das gleiche Gefühl bekommen.
Als sie ihn wie versprochen wachrüttelte, schreckte er unvermittelt hoch und setzte sich mit einem Ruck auf.
»Tut mir leid. Die anderen machen sich wieder an die Arbeit.«
Er nickte, stand auf und sah sie noch einmal an. »Kommst du zurecht?«
»Keiner belästigt mich. Ich bin mir sicher, dass dein Onkel uns nicht mehr in Manchester vermutet und uns dementsprechend hier nicht sucht.«
Sein Lächeln war dünn. »Stimmt. Bleib vorsichtshalber trotzdem wachsam.«
»Das tue ich.«
Plötzlich beugte er sich über sie und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Sie hielt vor Überraschung und Freude ganz still, während er flüsterte: »Ich freue mich schon darauf, heute Nacht im Kreise unserer neuen Freunde wieder in deinen Armen zu liegen.«
Sie zog eine Grimasse, die ihn zum Lachen brachte, während sie nur inständig hoffte, dass es die letzte Nacht in dieser schrecklichen Unterkunft mit dem Lärmen, Brüllen und diesem unschicklichen Stöhnen sein würde. Wenn sie sich das alles noch einmal anhören musste, würde sie von Julian verlangen, ihr alles haarklein zu erklären.
Dann würde ihm ebenfalls das Lachen vergehen.
Kapitel 16
Julian ging müde und mit schmerzenden Gliedern, aber zufrieden an Rebeccas Seite zu der schäbigen Unterkunft zurück. Er sah sie an und spielte mit den Münzen in seiner Tasche. Sie grinste und überraschte ihn dann damit, dass sie ihre Hand ebenfalls in seine Tasche schob.
»Oh, all dieser Reichtum«, sagte sie und stieß ihn an.
Die Berührung ihrer Hand ließ ihn seine schmerzenden Muskeln vergessen und beschwor
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