Ein verführerischer Pakt
Sie schlug die Decke zurück und erhob sich widerwillig aus dem gemütlichen Sessel. Immer noch benommen legte sie ihren Gehrock ab und begann, die Weste aufzuknöpfen, während Guy ein dunkelblaues Reitkostüm aus Samt auf das Sofa legte.
Obwohl leicht zerknittert, war das Ensemble von zeitlos klassischem Zuschnitt. Der Rüschenkragen war die einzige Verzierung an der schlichten weißen Bluse. Der Hut sah aus wie ein Herrenzylinder, der allerdings eine weibliche Note durch ein Tüllband erhielt, das hinten zusammengebunden war und lang herabhing. Etwas Weißes lugte unter den restlichen Sachen hervor, wahrscheinlich ein Unterrock.
Guy warf ein Paar farblich dazu passender Lederhandschuhe auf eines der Sofakissen. "So, das wäre alles. Leider konnte ich keine Reitstiefel finden."
"Das macht nichts, diese hier werden mir auch noch bis Sylvana Hall gute Dienste leisten." Lily hielt im Aufknöpfen ihres Hemdes inne, weil sie zum ersten Mal gewahr wurde, dass er ihr mit äußerst interessierten Blicken beim Ausziehen zusah.
Er schmunzelte durchtrieben. "Ich nehme an, ich muss im anderen Zimmer warten?"
Lachend verdrehte Lily die Augen. "Ich nehme an, das musst du."
"Dann kleide ich mich ebenfalls rasch um." Er ging auf eine verschlossene Tür zu, aber nicht die, durch die sie das Zimmer betreten hatten. "Das ist der Ankleideraum, dahinter befindet sich mein Schlafzimmer. Ich habe einen Krug Wasser und eine Waschschüssel bringen lassen. Da wir es eilig haben, dachte ich, du möchtest mit einem Bad vielleicht warten, bis wir auf Sylvana Hall sind."
"Vielen Dank." Sie merkte selber, wie hölzern das klang. "Das ist sehr freundlich. Ich bin gleich fertig."
Er verneigte sich und verließ das Zimmer.
Lily nahm die kleinen Flaschen, die sie Brinks abgenommen hatte, und verstaute sie sicher in einer der Kostümjackentaschen. Dann entledigte sie sich unverzüglich Brinks' restlicher Kleidung und zog das Reitkostüm an. In dem kleinen Ankleidezimmer fand sie tatsächlich den Wasserkrug und die Schüssel vor. Eilig wusch sie sich das Gesicht. Das kalte Wasser erfrischte sie zwar, trotzdem konnte es ihre Benommenheit nicht ganz vertreiben.
Guy hatte Kamm und Bürste für sie bereitgelegt, und zum ersten Mal beklagte sie das wenig schmeichelnde Lockengewirr, das auf ihren unprofessionellen Gebrauch von Brinks' Messer zurückzuführen war. Die frühere Länge und Schwere ihres Haares hatten die Locken einigermaßen gebändigt, aber nun kringelten sie sich in alle Richtungen.
"Du siehst aus wie ein schlecht geschorenes Schaf", murmelte sie ihrem Spiegelbild zu und streckte die Zunge heraus. Ein Klopfen an der gegenüberliegenden Tür riss sie aus ihrer kritischen Selbstbetrachtung. "Ja?"
"Frühstück!" verkündete Guy.
Sie eilte zu ihm und sah sich dabei rasch in dem anderen Raum der Suite um, seinem Schlafzimmer. Am Fenster stand ein kleiner Tisch, der für zwei gedeckt war. Es gab Schinken, frisches Brot und Marmelade, und in den Tassen dampfte himmlisch duftender Kaffee.
Lily fiel auf, dass Guy ein frisches weißes Leinenhemd trug, dazu Lederbreeches und einen dunkelgrünen Gehrock aus Gabardine über einer raffiniert bestickten Weste. Seine etwas abgetragenen Stiefel hätten blanker poliert sein können, alles in allem wirkte er allerdings durchaus vorzeigbar. Attraktiver denn je, wenn sie ganz ehrlich sein sollte.
Geflissentlich ignorierte sie das große Himmelbett ganz in ihrer Nähe. Nicht, dass sie allzu erpicht auf ihre ehelichen Pflichten war, wie sie sich einredete, aber sie hätte nichts dagegen gehabt, sich unter die dicke Daunendecke zu legen und endlich einmal zwölf Stunden lang ungestört zu schlafen.
Beau wartete jedoch auf sie. Bestimmt war er sehr besorgt angesichts ihrer plötzlichen Abwesenheit. Und schlimmer noch – es bestand die Gefahr, dass Clive bereits auf Sylvana Hall war.
Guy rückte ihr einen Stuhl zurecht. "Du siehst wunderhübsch aus, Blau steht dir!"
Verlegen lachte Lily über dieses Kompliment. "Gesprochen wie ein vorsichtiger Ehemann mit Blick auf die Zukunft. Du brauchst mir nicht zu schmeicheln. Ich habe mich eben im Spiegel betrachtet."
"Dann scheinst du dringend eine Brille zu benötigen", antwortete er, während er sich ebenfalls setzte und sie zu essen begannen.
Nachdem sie ihre Tasse Kaffee ausgetrunken hatte, zupfte Lily an einer Haarsträhne, die deutlich länger war als die anderen. "Ich fürchte, da habe ich ganz schön was angerichtet. Ein Messer ist wohl doch nicht
Weitere Kostenlose Bücher