Ein verführerischer Schuft
Anspielungen mit höflicher Gleichgültigkeit zu begegnen; das tat Tony auch. Sie blieben an Alicias Seite stehen, sprachen von diesem und jenem für beinahe zehn Minuten, dann gingen sie weiter.
Ehe Alicia die Gelegenheit hatte, nach Luft zu schnappen, verweilten zwei andere gewöhnlich eher hochnäsige Matronen bei ihnen, um mit ihnen freundlich zu plaudern. Tony stand an Alicias Seite, weltmännisch und überlegte zynisch: Wohin Cynsters führten, folgte die Welt.
Dabei war er Helena für ihre Unterstützung ehrlich dankbar; er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie es absichtlich getan hatte. Indem alle sehen konnten, dass sie von der Elite der guten Gesellschaft akzeptiert wurde, wob sie eine schützende Hülle für die Schwestern. Gerüchte würden wesentlich weniger leicht geglaubt werden. Gesellschaftlich errangen Alicia und Adriana allmählich einen Status, den zu erschüttern es einer größeren öffentlichen Indiskretion bedürfte.
Je mehr von den Damen, auf deren Meinung die Leute Wert legten, Alicia und Adriana eigens begrüßten, entweder indem sie kurz bei ihnen stehen blieben und ein paar Worte mit Alicia wechselten oder indem sie ihr durch den Saal freundlich zunickten, desto beruhigter war Tony bezüglich ihrer Anerkennung durch den Ton .
Bezüglich anderer Sachen jedoch verspürte er keinerlei Ruhe.
»Guten Abend, Mrs. Carrington.«
Beim Klang der tiefen Stimme stellten sich Tonys Nackenhaare auf. Er drehte sich um und entdeckte einen unglaublich attraktiven Gentleman mit wilden blonden Locken, wie er sich gerade über Alicias Hand beugte; dem Ausdruck in ihrem Gesicht nach hatte sie sie ihm nicht überlassen wollen. Der Gentleman hatte sich von hinten genähert, war so Tonys wachsamem Auge entgangen, was ihn in Tonys Achtung noch weiter sinken ließ.
Der Mann richtete sich auf und lächelte Tony an.
»Dein Diener, Torrington.« Er nickte seinem Gegenüber knapp zu, dann wandte er sich wieder an Alicia.
»Meine Mutter hat vor kurzem mit Ihnen geplaudert. Sie hat mir Ihren Namen verraten. Ich bin Harry Cynster.«
Unter seinem Lächeln taute Alicia auf; sie entspannte sich und erwiderte es.
»Es ist mir ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen, Sir.«
Tony benötigte ein paar Momente, um die richtige Verbindungslinie zu ziehen. Harry Cynster mit den harmlos blickenden himmelblauen Augen und dem Gespür eines Raubtieres. Pferde - er war ein für sein Geschick mit Pferden berühmter Reiter, und das in mehr als einer Hinsicht, und trug daher zu Recht den Spitznamen Demon.
Er unterhielt sich mit Alicia; seine Stimme war angenehm tief, und er versprühte den Charme, für den die Cynsters berühmt-berüchtigt waren.
»Meine Mutter hat mich hergeschleppt. Jetzt, da wir alle aus dem Krieg zurück sind, scheint es, als ob unsere Mütter und Tanten alle wild entschlossen seien, uns unter die Haube zu bringen.«
»Wirklich?«
Alicia erwiderte seinen unschuldigen Blick mit höflicher Skepsis.
»Und was ist mit Ihnen? Spielt eine Ehe keine Rolle unter Ihren Wünschen?«
Er schaute ihr in die Augen, und der Ausdruck in seinen war nun weit weniger unschuldig.
»Noch nicht.«
Sein Unterton war eine Warnung.
Harry hob eine Braue.
»Ich glaube, der nächste Tanz ist ein Walzer.«
Zu Alicias Überraschung fasste Tony nach ihrer Hand.
»Ah, ja, genau. Danke für die Erinnerung, Cynster.« Er lächelte aalglatt und zog sie an sich.
»Mrs. Carrington hat mir diesen Tanz versprochen.«
Über ihren Kopf hinweg trafen blaue Augen schwarze. Hinter Tonys höflicher Miene lauerte etwas - eine Art männlicher Herausforderung. Sie blickte vom einen zum anderen, dann hob Harry Cynster beide Brauen, zeigte eine leicht erstaunte Miene.
»Nun gut. Verstehe.« Dann grinste er und hob die Hand wie zum Salut.
»Eine Schande, aber ich wünsche Ihnen einen guten Ritt, meine Liebe.«
Ehe sie auf diese merkwürdige Bemerkung antworten konnte, entführte Tony sie auf die Tanzfläche.
»Mrs. Carrington tanzt eigentlich überhaupt nur selten«, unterrichtete sie ihn, als er sie in seine Arme schloss.
Er sah ihr in die Augen.
»Außer mit mir.«
Damit begann er sich mit ihr zwischen den anderen Paaren zu drehen. Das Parkett war überfüllt; er musste sie dicht an sich ziehen. So dicht, dass seine Kraft und die faszinierende Stärke, über die er so mühelos verfügen konnte, sie einhüllten, ein sinnlicher Bann; vermutlich ahnte er gar nicht, dass er ihn um sie wob.
Geschickt führte er sie durch
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