Ein verführerischer Schuft
meinem Schutz.«
Sie runzelte die Stirn.
»Ich dachte, das hättest du nur wegen der Wache gesagt.«
Ein Lakai kam, um ihnen mitzuteilen, dass ihre Kutsche bereitstünde. Tony brachte sie zu den Stufen, dann beugte er sich vor und murmelte.
»Ich habe es meinetwegen gesagt, nicht ihretwegen.«
12
Nach dieser Bemerkung verbrachte Alicia die gesamte Heimfahrt damit, sich fieberhaft den Kopf zu zerbrechen, was er damit hatte sagen wollen. Der Walzer hatte ihre Nerven arg strapaziert. Ihre Sinne waren überreizt; das Holpern der Kutsche über das Kopfsteinpflaster, Tony im Dunkel der Kutsche neben ihr, sein muskulöses Bein an ihrem Oberschenkel - das alles trug nicht dazu bei, sie zu beruhigen.
Letzte Nacht - oder war es heute Morgen gewesen? Was auch immer, sie zweifelte nicht, dass es entlang des Weges keine weiteren Zwischenstationen gab. Trotzdem hatte sie bis jetzt nicht ernsthaft darüber nachgedacht, hatte sich selbst die verhängnisvolle Frage noch nicht gestellt.
Wenn es so weit käme … würde sie dann?
Wenn der Moment kam und sich die Gelegenheit bot, würde sie sie ergreifen? Oder bis zum Schluss versuchen, das zu vermeiden?
Eine leise Stimme erhob sich in ihr, fragte: Wie vermied man das Unvermeidbare?
Als sie dann in der Waverton Street ankamen und er sie aus der Kutsche hob, war sie angespannt wie eine Bogensehne. Adriana folgte ihr die Eingangsstufen hoch. Tony kam hinterher. Maggs öffnete die Eingangstür und hielt sie weit auf; Alicia trat zur Seite und ließ Adriana vor sich hineingehen. Tony, stellte sie fest, blickte prüfend die Straße entlang, erst in der einen, dann in der anderen Richtung, dann stellte er sich neben sie.
Sie trat ein; er folgte ihr.
Adriana, die zweifelsfrei in Gedanken völlig mit Geoffrey Manningham beschäftigt war, schwebte die Treppe in den ersten Stock hoch, ohne auch nur eine gute Nacht zu wünschen. Unsicher, ob sie dafür dankbar sein sollte oder sich darüber ärgern, nickte Alicia Maggs zu.
»Vielen Dank. Sie können sich nun zurückziehen. Ich bringe Seine Lordschaft nachher zur Tür.«
Maggs verbeugte sich und entfernte sich.
Sie sah zu, wie die grün bespannte Tür zum Untergeschoss hinter ihm zufiel, sodass sie mit dem Mann allein zurückblieb, der ihr Liebhaber werden würde.
Langsam drehte sie sich um … und fand sich völlig allein.
Tony war weitergegangen. Die Tür zum Salon stand offen.
Mit gerunzelter Stirn trat sie auf die Schwelle; ein dunkler Schatten in dem unbeleuchteten Raum stand vor den bodenlangen Fenstern. Verwirrt trat sie ins Zimmer.
»Was tust du da?«
»Ich überprüfe die Schlösser.«
Das Fenster ging auf den schmalen Streifen Grün hinaus, der das Haus von der Straße trennte.
»Jenkins überprüft die Schlösser jede Nacht, und ich vermute, Maggs tut es ebenfalls.«
»Das ist sehr wahrscheinlich.«
Sie blieb in der Zimmermitte stehen, verschränkte die Arme vor der Brust.
»Und? Bist du zufrieden?«
»Nein.«
Tony wandte sich von den Fenstern ab und betrachtete sie in dem schwachen Licht.
»Aber sie sind ausreichend.« Fürs Erste.
Bis ihm etwas einfiel, die Schutzwälle zu verstärken, die zu errichten er sich unerklärlicherweise gedrängt fühlte. Er musste einfach wissen, dass sie in Sicherheit war. Er wollte sie für sich. Unter den gegebenen Umständen würde seine eigene Befriedigung erst danach kommen - so musste es sein.
Diese Erkenntnis hatte ihn mit der Wucht eines Schlages getroffen, als er neben ihr in der Kutsche gesessen hatte, ihre wachsende Anspannung bemerkt hatte. Nach allem, was sie in den vergangenen beiden Tagen hatte durchmachen müssen, welche Frau wäre da nicht angespannt?
Dies war nicht die Zeit, sie mit seinen Aufmerksamkeiten zu bedrängen, gleichgültig, wie heftig die Leidenschaft zwischen ihnen brannte. Neben allem anderen hatte er nicht vergessen, dass sie neulich erst irrtümlicherweise geglaubt hatte, er erwarte von ihr Dankbarkeit. Und natürlich auch nicht Ruskins teuflischen Plan - »Dankbarkeit« zu verlangen als Bezahlung für Schutz.
Jetzt war er ihr Beschützer, in mehr Weisen, auf mehr Gebieten, fester in ihrem Leben verankert, als Ruskin es je gewesen war.
Nein. Er wollte sie in Sicherheit wissen, wollte, dass sie wusste, sie war sicher. Und er brauchte ihren Dank nicht. Er wollte nicht, dass sie aus Dankbarkeit zu ihm kam.
So wollte er sie nicht, wollte nicht, dass irgendwelche Emotionen zwischen ihnen standen, die alles verkomplizierten. Er wollte viel mehr
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