Ein verführerischer Schuft
Bett hatte, wollte er gewiss nicht, dass sie an irgendetwas anderes dachte.
Er bemerkte, dass Geoffrey am Rand des Saales stand; zwar runzelte er nicht gerade unbedingt die Stirn, aber er war auch eindeutig nicht glücklich. Ein rasches Umsehen im Saal, und er entdeckte Adriana, die mit einem älteren Herrn Walzer tanzte.
»Der Gentleman, der mit deiner Schwester tanzt - wer ist das?«
Alicia hatte seine Züge studiert; sie antwortete ruhig:
»Sir Freddie Caudel.«
Nach einem Moment fragte sie:
»Kennst du ihn?«
Eine Ablenkung war so gut wie die nächste. Er fand sich damit ab, dass ihm eine weitere Nacht unerfüllten Verlangens bevorstand, und sah sie an.
»Nein, aber ich habe von ihm gehört. Eine sehr alte Familie. Warum? Ist er an deiner Schwester interessiert?«
Alicia nickte.
»Wie sehr, da bin ich mir nicht sicher, und ich bezweifle, dass sein Interesse, wie auch immer es geartet sein mag, erwidert wird, aber trotzdem …«
Seine Lippen zuckten, er sah wieder zu Geoffrey.
»Ein weiteres Eisen im Feuer?«
Alicia kniff die Augen zusammen.
»Genau.« Eines, mit dem sie die Sache vielleicht vorantreiben konnte.
»Kann ich davon ausgehen, dass der Lakai dir genehm ist?«
»Maggs?«
Mit einer schriftlichen Empfehlung hatte der Mann in der Waverton Street vorgesprochen. Sie sah Torrington ins Gesicht, ließ eine kleine Weile verstreichen; Maggs, wie Torrington sehr gut wissen musste, war ein äußerlich wenig ansprechender Vertreter seines Berufsstandes; seine Züge waren unregelmäßig, sein Gesicht sah aus wie eingedrückt, aber er schien ein freundliches Wesen zu besitzen und hatte innerhalb weniger Stunden nicht nur die Billigung der Köchin und Mrs. Fitchetts gefunden, sondern - was noch wichtiger war - auch die von Jenkins. Wofür sie überaus dankbar war.
»Ich glaube, er fügt sich gut in den Haushalt ein. Wie schon gesagt, wir haben nicht viel Verwendung für einen Lakaien.«
»Das ist nicht wichtig.« Torringtons schwarze Augen ruhten nachdenklich auf ihr.
»Nur, damit ich ruhig schlafen kann.«
Sie verkniff sich ein abfälliges Schnauben.
Der Walzer war zu Ende. Ohne weitere Bitte ihrerseits führte Torrington sie zurück zu der Stelle unweit von Adrianas Kreis von Bewunderern, wo er sie eben gefunden hatte. Er blieb an ihrer Seite, plauderte mit ihr über dies und das, wie es sich für eine höfliche Konversation ziemte. Andere gesellten sich zu ihnen, blieben eine Weile, dann gingen sie weiter; sie versuchte nicht weiter darüber nachzudenken, wie gerne sie ihn in ihrer Nähe hatte, dass seine in vielerlei Hinsicht anspruchslose Gegenwart ihr den Abend eindeutig erfreulicher machte.
Auf einem gewissen Level brachte er sie allerdings auch aus der Fassung.
Meist waren es Kleinigkeiten, die sie aus der Bahn warfen, die ihre Nerven in Aufruhr versetzten. Das, was zwischen ihnen war, verdrängte alles andere, sogar Adriana.
Wie der Augenblick, als er sich von ihnen in der Eingangshalle der Cranbournes verabschiedete, nachdem er den ganzen Abend nicht von ihrer Seite gewichen war. Sie standen in einer kleineren Gruppe aufbrechender Gäste da; um ihre Aufmerksamkeit zu erringen, berührte er sie an der Schulter.
Seine Fingerspitzen streiften sie nur leicht. Obwohl sie züchtig in rubinrote Seide gehüllt war, reagierte ihr Körper. Gänsehaut bildete sich und breitete sich wellenartig aus; ihre Brustspitzen wurden hart.
Ihr Blick flog zu ihm, er las in ihren Augen, und seine Lippen wurden schmal - und sie wusste, dass er Bescheid wusste.
Der Ausdruck in seinen Augen ließ sie beinahe in die Knie gehen. Die Hitze darin war unverhohlen zu sehen - und es war ein Wunder, dass sie darunter nicht einfach dahinschmolz.
Er senkte die Lider halb und nahm ihre Hand, verabschiedete sich völlig korrekt von ihr.
Sie murmelte eine Antwort, dann sah sie zu, wie er sich durch die Menge entfernte; erst als er durch die Haustür verschwunden war, gelang es ihr wieder zu atmen. Konnte sie sich dem Lakaien zuwenden, der darauf wartete, dass sie ihm sagte, welche Kutsche er herbeirufen sollte. Glücklicherweise hatte Adriana nichts von dem kleinen Zwischenfall bemerkt. Ihre Schwester schien ebenso abgelenkt wie sie.
Die Heimfahrt durch die nächtlichen Straßen bot ihr eine willkommene Ruhepause, eine kleine Weile quasi allein, in der sie ihre Gedanken ordnen und überdenken konnte, was geschehen war, alles, was sie gefühlt hatte, wie sie reagiert hatte, ohne sich wegen eines verräterischen
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