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Ein verhängnisvolles Versprechen

Ein verhängnisvolles Versprechen

Titel: Ein verhängnisvolles Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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gab die Telefonnummer des Drohanrufs bei Google ein. Er erhielt keine sinnvollen Treffer. Er duschte kurz und sah seine E-Mails durch. Jeremy, sein ferner Sohn, hatte sich gemeldet.
    Hey Myron,
    Wir dürfen nur sagen, dass wir in der Gegend des Persischen Golfs sind. Mir geht’s gut. Mom ist anscheinend übergeschnappt. Ruf sie an, wenn du Zeit hast. Sie begreift das immer noch nicht. Dad wohl auch nicht, aber der tut wenigstens
so, als würde er es verstehen. Danke für das Paket. Wir freuen uns immer, wenn wir hier was kriegen.
    Ich muss los. Ich schreib später mehr, bin aber vielleicht vorübergehend nicht erreichbar. Ruf Mom an, okay? Jeremy
    Myron las die Mail noch ein paar Mal, das änderte aber nichts. Sie war absolut nichtssagend – wie auch sonst fast alle Mails von Jeremy. Dass er »vorübergehend nicht erreichbar« sein würde, gefiel Myron ganz und gar nicht. Er dachte an das Elterndasein, von dem er so viel verpasst hatte – eigentlich fast alles –, und daran, welchen Anteil sein Kind, sein Sohn, jetzt an seinem Leben hatte. Irgendwie klappte das schon, dachte er, zumindest für Jeremy. Aber Myron kam nur schlecht damit zurecht. Der Junge war das größte Was-hätte-sein-können, das größte Wenn-ichdas-nur-gewusst-hätte, und meistens tat diese Situation Myron einfach nur weh.
    Während er noch auf die Mail starrte, hörte Myron sein Handy klingeln. Er fluchte leise, aber dieses Mal stand auf dem Display, dass die göttliche Ms Ali Wilder dran war.
    Myron meldete sich mit lächelndem Gesicht. »Hengst-Service«, sagte er.
    »Pst, was wäre, wenn eins von meinen Kindern am Apparat wäre?«
    »Dann würde ich jetzt so tun, als wäre ich Pferdeverkäufer.«
    »Pferdeverkäufer?«
    »Ja, oder wie man die Leute halt nennt, die Pferde verkaufen.«
    »Wann geht dein Flug?«
    »Um vier.«
    »Bist du beschäftigt?«
    »Wieso?«
    »Die Kids sind mindestens eine Stunde lang aus dem Haus.«
    »Holla«, sagte er.
    »Genau das hab ich mir auch gedacht.«

    »Schlägst du vor, dass wir ein rechtschaffenes Nümmerchen schieben?«
    »Genau.« Dann: »Rechtschaffen?«
    »Ich brauch noch ein bisschen, bis ich da bin.«
    »Mhm.«
    »Und es müsste ein Quickie werden.«
    »Ist das nicht deine Spezialität?«, sagte sie.
    »Au, das tut weh.«
    »War nur ein Witz, mein Hengst.«
    Er wieherte. »Das ist Pferdisch für ›bin schon unterwegs‹.«
    »Rechtschaffen«, sagte sie.
     
    Aber als er an die Tür klopfte, machte Erin auf. »Hey, Myron.«
    »Hey«, sagte er und versuchte, seine Enttäuschung zu verbergen.
    Er sah an Erin vorbei. Ali entschuldigte sich mit einem kurzen Achselzucken.
    Myron trat ein. Erin rannte die Treppe hinauf. Ali kam zu ihm und flüsterte: »Sie ist ziemlich spät nach Hause gekommen, und dann war ihr nicht danach, zur Theater-AG zu gehen.«
    »Aha.«
    »Tut mir leid.«
    »Kein Problem.«
    »Wir können uns in eine Ecke stellen und knutschen«, sagte sie.
    »Kann ich dir an die Titten fassen?«
    »Das will ich doch hoffen.«
    Er lächelte.
    »Was ist?«, fragte sie.
    »Mir ist nur grad was durch den Kopf gegangen.«
    »Was?«
    »Esperanza hat gestern zu mir gesagt: › Der mentsch tracht un got lacht .‹«
    »Ist das Deutsch?«

    »Jiddisch.«
    »Und was heißt das?«
    »Der Mensch plant, und Gott lacht.«
    Sie wiederholte es. »Gefällt mir.«
    »Mir auch«, sagte Myron.
    Dann umarmte er sie. Über Alis Schulter sah er Erin oben auf der Treppe. Sie lächelte nicht. Myrons Blick begegnete ihrem, und wieder musste er an Aimee denken, die von der Nacht verschluckt worden war, und an das Versprechen, das er ihr gegeben hatte.

10
    Myron hatte noch Zeit, bis er zum Flugzeug musste.
    Er holte sich bei Starbucks im Stadtzentrum einen Kaffee. Der Barmann verrichtete seine Tätigkeit auf typisch unwirsche Art. Er stellte den Becher vor Myron auf den Tresen, als hätte er das ganze Gewicht der Welt zu stemmen. Im selben Moment knallte hinter Myron die Eingangstür gegen den Stopper. Als er die neuen Gäste sah, verdrehte der Barmann die Augen.
    Heute waren sie zu sechst. Ihre Bewegungen wirkten, als müssten sie sich durch Schnee kämpfen. Sie hielten die Köpfe gesenkt und bewegten sich ruckartig. Sie schnieften und kratzten sich im Gesicht. Die vier Männer waren unrasiert. Die beiden Frauen rochen nach Katzenpisse.
    Es waren geistig Behinderte. Echte geistig Behinderte. Sie verbrachten die meisten Nächte im Essex Pines, einer psychiatrischen Einrichtung im Nachbarort. Ihr Anführer – wenn

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