Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)
bedeutete Sicherheit und Kontinuität. Flavia beschloss, das Rezept für Granite di caffé aufzunehmen. Wasser und Zucker in einen Topf geben und erhitzen, bis der Zucker sich auflöst. Eine Minute kräftig kochen, dann simmern lassen, den Kaffee zugeben, rühren und vom Herd nehmen. Eine Vanilleschote und Zimt zugeben. Gut vermischen und abkühlen lassen. Zwei Stunden gefrieren und dabei jede Viertelstunde herausnehmen und durchrühren. Das Ergebnis sollte, schrieb sie , feinkörnig sein, am Ende beinahe breiig. Sahne mit Puderzucker steifschlagen. Die Masse auf so viele Gläser wie gewünscht verteilen, mit Sahne verzieren und mit warmem Hefegebäck servieren.
Eines Tages, als Tess drei war, bekam Flavia wieder einen Brief von Peter. »Ich weiß gar nicht, wie ich es dir sagen soll, Flavia«, schrieb er. »Ich habe sogar überlegt, es dir gar nicht zu sagen.«
Sogar nach all der Zeit hatte Flavia das Gefühl, als drückte ihr eine eisige Faust das Herz zusammen.
Und sie hatte recht.
»Ich habe Krebs«, schrieb er, »Lungenkrebs. Ich hätte das Rauchen schon vor Jahren aufgeben sollen, aber …«
Ich habe nie gewusst, dass er raucht . Blinzelnd sah Flavia auf die Worte auf der Seite hinunter. Wie war es möglich, dass sie etwas so Banales und doch so Grundlegendes nicht gewusst hatte?
In Sizilien hatte er nicht geraucht, oder? Jedenfalls hatte er nie etwas davon gesagt. Er hatte auch nicht geraucht, als er damals ins Lokal gekommen war.
Ich habe ihn überhaupt nicht gekannt, dachte Flavia. Und ich kenne ihn immer noch nicht.
»Ich möchte dich sehen«, schrieb er. Es war das erste Mal in dieser ganzen Zeit, dass er ein Treffen vorschlug. »Könntest du kommen? Würdest du kommen?«
Konnte sie? Ja, sie konnte. Lenny war nie ein besitzergreifender Mensch gewesen. Er fragte nie, wohin sie ging und woher sie kam, obwohl man der Gerechtigkeit halber sagen musste, dass sie sich normalerweise nur im Umkreis der Küche des Azurro bewegte. Und er achtete ihre Privatsphäre. Würde sie es tun? Das war eine andere Frage.
Sie traf ihn in Lyme Regis, in einer Teestube am Strand. Es war Flut, und die grauen Wellen schlugen hoch. Sie hätte sich keinen größeren Gegensatz zum Meer in Sizilien vorstellen können.
Lenny hatte sie erzählt, dass sie sich mit einer Freundin treffen würde. Sie hatte nicht viele Freundinnen, aber ein paar Freundschaften hatte sie doch geschlossen, mit Frauen, die öfter ins Café kamen, und Müttern, deren Kinder zusammen mit Tess in den Kindergarten gingen.
Eine von ihnen war ihr Alibi, Alice. Lenny kannte sie kaum. Sie sagte ihm, dass sie zusammen einkaufen gehen wollten, und nahm sich den Nachmittag frei. Lenny würde Tess vom Kindergarten abholen und sich um alles kümmern. Flavia hatte das Essen vorgekocht und eine Vertretung für das Café besorgt. Das Schlimmste war, Lenny anzulügen. Aber …
Wahrscheinlich hätte sie Lenny auch sagen können, dass sie sich mit Peter traf. Sie hätte ihm auch von den Briefen erzählen können und davon, dass Peter krank war und sie sehen wollte. So, wie Lenny war, hätte er wahrscheinlich Verständnis gehabt. Aber er hätte vielleicht zu gut verstanden. Er hätte begriffen, warum sie diesem Treffen zugestimmt hatte, und sie wollte ihn nicht verletzen. Das hatte er nicht verdient.
Peter war schmaler geworden. Auch sein Haar war dünner geworden. Fein und weich wie Babyhaar, dachte sie. Neue Linien durchzogen sein Gesicht, seine Haut wirkte an einigen Stellen, besonders um die Augen, schlaff, und sein Mund war härter geworden. Aber seine Augen waren noch himmelblau, so blau, wie sie es immer gewesen waren.
»Danke, dass du gekommen bist«, sagte er. Und er hielt über dem Tisch ihre Hand, als ob sie ein Liebespaar wären.
Sie tranken Tee, aßen getoastete Hefebrötchen und redeten, stundenlang, wie es ihnen vorkam. Nicht nur über sein Leben und ihr Leben in den vergangenen Jahren, sondern auch über seine Krebserkrankung. Wenn er sprach, meinte sie, eine Kurzatmigkeit wahrzunehmen. Ihr Herz zog es noch immer zu diesem Mann, den sie einmal geliebt hatte. Sie waren inzwischen beide in den Vierzigern, mittleren Alters, konnte man wohl sagen, obwohl sie sich nicht so fühlte, vor allem, weil sie sich um eine kleine Tochter und ihr Geschäft zu kümmern hatte. Aber Peters Leben hatte sich nicht so entwickelt, wie er gehofft hatte. Und jetzt würde es zu Ende sein, bevor er fünfzig war.
»Ich muss zurück«, sagte sie schließlich. »Lenny wird
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