Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)
damit verbracht, sich die Geschichte durch den Kopf gehen zu lassen. Ihr Großvater hatte Alberto Amato im Krieg gebeten, den Schatz zu verstecken. Aber warum? Warum hatte ihr Großvater ihn nicht einfach selbst versteckt? So hätte er sichergehen können, nicht verraten zu werden, und nur er selbst hätte gewusst, wo der Schatz war. Es ergab einfach keinen Sinn.
»Und selbst wenn er sich hier befände«, sagte Tess sehr vorsichtig. »Wieso meinen sie, irgendein Recht darauf zu haben, Giovanni?«
Er fluchte unterdrückt. »Damit sollte eine Schuld bei der Sciarra-Familie beglichen werden«, erklärte er. »Wir haben ein Anrecht darauf.«
Ein weiteres Puzzleteil rutschte an seinen Platz. Davon hatte er ihr schon erzählt, oder? Von den Schulden, die die Amatos bei den Sciarras hatten, vor allem wohl Luigi Amato. Schutzgeld für sein Geschäft. Aber wieso sollte der tesoro bei Edward Westerman gelandet sein, wenn er ursprünglich Luigi Amato gehört hatte? Und dann begriff sie. Millie hatte es ihr unabsichtlich verraten. Luigi Amato war homosexuell gewesen, Edward Westerman ebenfalls. Damit bestand zwischen den beiden mindestens eine Gemeinsamkeit, vielleicht sogar eine Beziehung. War Edward Westerman der einzige Mensch gewesen, dem Luigi vertrauen konnte? Hatte er Edward den Schatz in Verwahrung gegeben, weil die Sciarra-Familie ihn sich holen wollte?
»Woher hatte Luigi den Schatz, Giovanni?«, fragte Tess. Sie hatte sich schon zu weit vorgewagt, um jetzt noch zurückzurudern.
»Sie sind ein kluges Mädchen.« Er lächelte. »Er hat ihn gefunden, als er die Fundamente für sein dummes kleines Restaurant ausgehoben hat«, erklärte er. »Aber wir haben unsere Augen überall, verstehen Sie? Und selbst wenn wir das nicht hätten – seine klatschsüchtige Schwester konnte ihren Mund einfach nicht halten. Wie die meisten Frauen.« Seine Miene verdunkelte sich. »Also, er gehört Sizilien, Cetaria.« Er richtete sich auf und sah beinahe stolz aus. »Der Bruderschaft«, fügte er so leise hinzu, dass es ihr fast entgangen wäre. Bruderschaft?
» Und Sie würden ihn Sizilien schenken, oder, Giovanni?«, fragte sie. Sie selbst hätte den Schatz liebend gern Sizilien geschenkt. Um die Wahrheit zu sagen, hatte sie nicht das geringste Interesse an dem verdammten Ding. Soweit sie sehen konnte, hatte es nur eine Menge Ärger verursacht.
»Was wissen Sie schon von Sizilien?«, stieß er hervor. »Eine englische Touristin, die hier auftaucht, als gehöre ihr alles?«
Er schien vergessen zu haben, dass sie zur Hälfte Sizilianerin war. Dass ihre Mutter hier genauso aufgewachsen war wie seine eigene, mit seiner Tante in denselben Straßen gespielt hatte. Und dass ihr dieser Ort tatsächlich gehörte. Dieses Haus.
»Jetzt reicht es.« Sie streckte die offene Hand aus.
Fragend sah er sie an. »Was?«
»Den Schlüssel, Giovanni. Geben Sie mir den Schlüssel zu meiner Villa, und wir reden nicht mehr davon.« Jetzt hatte sie keine Angst mehr, sie war nur noch wütend.
Grinsend trat er einen Schritt an sie heran. »Holen Sie ihn sich doch, Tess.«
»Ach, um Himmels willen.« Sie wandte sich ab.
»Nein, das ist mein Ernst.« Er kam noch näher. »Holen Sie ihn sich.« Er hob die Hände. »Kommen Sie schon. Ich mache es Ihnen leicht.«
Zornig starrte sie ihn an. »Für wen arbeiten Sie, Giovanni?« Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er auf eigene Faust handelte. Dazu war er viel zu selbstsicher. Und er wusste zu viel. Woher hatte er zum Beispiel gewusst, dass sie heute unterwegs sein würde?
Giovanni machte sich nicht die Mühe, ihre Frage zu beantworten. Aber vielleicht hatte er das schon getan. Die Bruderschaft … Er grinste immer noch. Er lachte sie aus. Diese arme Engländerin, nur eine Touristin und völlig überfordert …
»Ich nehme an, Sie haben mich beschatten lassen?« Ein Schuss ins Blaue.
Er zog eine Augenbraue hoch. »Warum sollte ich das tun?«
»Um zu wissen, wann ich ausgehe und Sie in mein Haus einbrechen können?«
Er lachte. »Das war nicht nötig, meine liebe Tess.«
Ach ja, er hatte ja einen Schlüssel.
»Ich habe andere Ohren«, fuhr er im Flüsterton fort. »Und andere Augen. Und der tesoro ist wichtig für uns. Wir wollen ihn haben. Er kann nicht einfach verschwunden sein.«
»Also, ich habe ihn jedenfalls nicht«, sagte Tess schnippisch.
»Hmmm.« Er betrachtete sie nachdenklich. »Das Problem ist, dass wir Ihnen nicht ganz glauben. Daher können wir Sie auch nicht in Ruhe lassen, no?
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