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Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)

Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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sich doch so viel verändert.
    Schwitzend und atemlos trat sie durch den Vorhang, der regungslos in der stillen Luft hing, und lief in das hintere Zimmer, wo ihr Vater schlief und leise schnarchte.
    Flavia öffnete den Mund zum Sprechen.
    Aber was, wenn sie sich irrte? Wenn Papa die Behörden benachrichtigte und sie den Engländer töteten? Dann würde sein Blut an ihren Händen kleben. Sie …
    Flavia schlich sich wieder aus dem Zimmer. In der Küche suchte sie zusammen, was sie brauchte. Kostbares Brot, das Mama heute gebacken hatte, Öl, das aus ihren eigenen Oliven gewonnen worden war, Ziegenkäse, Tomaten von den Pflanzen draußen, zwei breite Bandagen aus Mamas Küchenschrank und eine kleine Flasche Desinfektionsmittel. Was noch? Er hatte um eine Kopfbedeckung gebeten. Konnte sie es riskieren, Papas Hut zu nehmen? Eine Pinzette vielleicht? Mull und Gaze? Sie füllte eine zweite Flasche mit heißem Wasser vom Herd. Mochte die Muttergottes verhindern, dass jemand sah, wie sie mit diesen Sachen verschwand, sonst war es um sie geschehen. Und um ihn.
    Leise wie eine Diebin schlich sie auf Zehenspitzen durch das Häuschen, durch den Vorhang hinaus, über die Felder zum Olivenhain und zu dem gelben Weizenfeld. Das Licht war so hell, und sie rannte so schnell, mit vor Anstrengung und Hitze pochendem Herzen, dass sie beinahe das Gefühl hatte, als wäre all das nicht real. Als wäre dieser Tag nicht real, als wäre sie nicht hier, als passierte dies gar nicht und sie würde nichts vorfinden, wenn sie die Stelle erreichte, an der der Flieger gelegen hatte. Als wäre es nur ein Trugbild gewesen. Das Land pulsierte und glühte und schien über sie zu spotten. Irgendwo rief ein Vogel. Ein Trugbild.
    Aber er war da.
    Er schlug die Augen auf, sah sich ängstlich um, um festzustellen, ob sie allein war, und wirkte rührend froh darüber, sie zu sehen. Und warum auch nicht? Sie brachte ihm Stärkung. Es hatte nichts mit ihr, Flavia, zu tun. Sie hätte genauso gut jemand anderes sein können, irgendein Mädchen aus dem Dorf, das zufällig über ihn gestolpert war.
    »Danke, danke«, sagte er. »Das ist verdammt nett von Ihnen. Sie sind wunderbar.«
    Und doch … Und doch sah er sie an, als meinte er seine Worte ernst.
    Schüchtern holte sie Brot, Käse und Tomaten hervor und sah zu, wie er hungrig aß, das Brot kaute, von den Tomaten abbiss, daran saugte und sie herunterschluckte.
    »Essen Sie langsam«, riet sie ihm in ihrer Muttersprache, und er schien sie zu verstehen, denn er nickte und aß weniger hektisch als zuvor.
    Als er fertig war, nahm Flavia das warme Wasser und das Desinfektionsmittel und wusch seine Beinwunde aus. Sie war so nervös, dass ihr der Atem stockte. Er zuckte zusammen, als sie ihn berührte, besonders, als sie die Pinzette nahm und einen schmalen Metallsplitter herauszog, der in der Wunde steckte. Waren da noch mehr? Der Schnitt ging tief und war blutig und geschwollen, aber unter dem zerrissenen Stoff seines Hosenbeins bildete sich schon eine Kruste. Die Wunde hatte zu heilen begonnen, aber sie wusste, dass die Gefahr einer Infektion groß war. Vielleicht war sie gerade noch rechtzeitig gekommen.
    »Wo …?«, fragte sie ihn.
    Er bedeutete ihr, dass er Schürfwunden an den Armen und an der Schulter hatte.
    Noch nie hatte Flavia den Körper eines Mannes berührt. Behutsam schob sie den zerrissenen Stoff seines Hemds zurück. Seine Haut war blass und leicht sommersprossig; an seinen muskulösen Armen erkannte sie, wie stark er war. Sie biss sich auf die Lippen und konzentrierte sich mit aller Kraft. Sie würde es wie die Krankenschwestern machen und ihn als Patienten betrachten, nicht als Mann.
    Als sie fertig war, berührte er ihre Hand.
    Sie sah in diese Augen und fragte sich, ob sie beten sollte, vielleicht für sich selbst und um ihre eigene Rettung.
    »Sie sind ein Engel«, sagte er zu ihr. »Mein Schutzengel.«
    Trotz der Hitze überlief sie ein seltsamer Schauer. »Ich muss gehen.«
    Essen, dachte Flavia jetzt. Sie ruhte eine Weile aus; auch heute hatte das Schreiben sie wieder sehr angestrengt. Essen war ein Teil der sizilianischen Seele, ihrer Seele. Zu ihrer Zeit hatte es kaum Kochbücher gegeben. Rezepte wurden von der Mutter an die Tochter weitergegeben. So war es Tradition, und so war es am besten. Und sie würde es genauso machen.
    Sie runzelte die Stirn. Sie würde mit der caponata anfangen. Die caponata war zwar ein Klassiker, aber es handelte sich dabei eher um ein Konzept als um ein

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