Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)
bestimmtes Gericht, denn jede Köchin hatte ihr eigenes Rezept. Man bereitete die caponata am besten einen oder zwei Tage, bevor sie serviert wurde, zu, damit die Aromen reifen und sich vermischen konnten.
Also dann: Sie begann zu schreiben. Auberginen würfeln und in heißem Olivenöl braten. Sellerie zusammen mit den Oliven blanchieren. Zwiebeln braten. Rotweinessig und Zucker zugeben. Tomatenmark erhitzen, die Gemüse zugeben. Abkühlen lassen und mit Minze oder Basilikum bestreuen.
Süßsauer. Was Tess wohl gerade tat? Mit wem hatte sie gesprochen? War sie in der Villa Sirena? Flavia wollte es nicht wissen, und doch sehnte sie sich danach.
Widersprüche, dachte Flavia. Süß und sauer.
11. Kapitel
E s erstaunt mich, dass Sie die Geschichte nicht kennen«, meinte Giovanni, als sie in einem Restaurant in einem nahe gelegenen Dorf saßen. »Sprechen in Ihrer Familie Mütter nicht mit ihren Töchtern?«
Es war die Art von Lokal, in dem die Tischtücher aus gestärktem weißen Damast und die Weingläser aus schwerem Kristall waren. In dem Raum roch es holzig, der Geruch des Kaminfeuers von gestern Abend, vermutete Tess aufgrund der Asche im Kamin und der Olivenzweige in dem Holzkorb. Das Essen war gut. Sie hatten mit bruschetta und gegrillten Auberginenscheiben mit Knoblauch, Petersilie und karamellisierten Zwiebeln begonnen.
»Über manche Themen schon.« Sie waren beim zweiten Gang – spaghetti con le cozze. Tess spießte eine Muschel aus einer der wie lackiert wirkenden schwarzen Schalen auf und meinte sich zu erinnern, dass ihre Mutter gesagt hatte, die Beziehung zwischen Pasta und Sauce sei völlig gleichberechtigt. Beide Geschmäcker sollten gleichzeitig bei den Geschmacksnerven ankommen. »Aber über andere nicht«, gestand sie. »Was Sizilien anging, war meine Mutter immer ziemlich zugeknöpft.« Vorsichtig ausgedrückt. Und Tess hatte niemals sizilianisch gekocht. Vielleicht war das eine kleine Rebellion – Tess’ Art, ihrer Mutter zu zeigen, dass sie, wenn sie ihr nicht von Sizilien erzählte, auch nicht sizilianisch kochen würde.
»Zugeknöpft?« Er runzelte die Stirn.
»Vorsichtig. Schweigsam. Geheimnisvoll.«
»Aha.« Er rieb sich die Nase. »Kein Problem. Von Geheimnissen verstehe ich etwas. Aber ich kann Ihnen ja alles erzählen.«
Ja, dachte Tess. Darauf möchte ich wetten. Aber konnte sie ihm glauben? Sie versuchte, hinter die lässig-eleganten Umgangsformen, das routinierte Lächeln zu sehen. Er hatte etwas an sich, das ein bisschen zu glatt, zu geplant, zu entgegenkommend war. Sie dachte an Robin. Es war ein Schock gewesen, als sie erfuhr, dass er finanziell abhängig von der Familie seiner Frau war. Wahrscheinlich kam so etwas ständig vor, zumindest in bestimmten Familien. Vermutlich war es die romantische Idealistin in ihr, die fand, dass Geld nichts mit der Beziehung zwischen Mann und Frau zu tun haben sollte, dass Beziehungen auf Ideen wie Liebe und Integrität basieren sollten statt auf dem Kontostand. Romantik und Idealismus hatten ihr zwar keinen Lebenspartner beschert, den sie lieben und schätzen konnte, dachte sie und nahm eine Gabel voll von der aromatischen Tomatensauce, aber zumindest hatte sie noch ihre Träume.
Giovanni begann mit der Geschichte, wie die Villa Sirena gebaut worden war, und Tess beugte sich eifrig vor, um ihm zu lauschen.
Edward Westerman war 1935 nach Sizilien gekommen, als er noch ein »Junge« war, wie Giovanni es ausdrückte, und hatte eine Erbschaft (»mehr Geld, als gut für ihn war , no?« ) und die Sehnsucht, in der Sonne zu leben, mitgebracht.
»Klingt gut, finde ich«, meinte Tess.
»Als die Villa Sirena damals gebaut wurde, war sie wirklich ein prächtiges Gebäude«, sagte Giovanni. »Er hat Stein und Marmor aus der Gegend verwendet und auch die Arbeiter hier eingestellt. Heute allerdings …« Er zuckte mit den Schultern. »Sie ist molto malandata, no? «
»Molto …?« Tess nahm noch einen Löffel von der Tomatensauce auf ihrem Teller. Sie war deutlich mit Chili gewürzt, und sie fühlte sich einmal mehr an ihre Mutter erinnert. So langsam begann sie, die Beziehung der Sizilianer zum Essen besser zu verstehen.
»Wie sagt man? Heruntergekommen?«
»So etwas wie Shabby Chic? «, meinte sie.
»Ah ja.« Giovanni schien sie genau zu beobachten. Oder bildete sie sich das nur ein? »Sie ist ein Ort mit vielen dunklen Ecken«, erklärte er in einem Ton, der beiläufig wirken sollte. »Stellen, an denen sich etwas verbergen
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